Viele Athleten haben Probleme beim Sprung in die zweite Karriere. Die wenigsten finden nach dem Sport gute Jobs in der Wirtschaft. Auch, weil die Verbände zu wenig tun – und Betriebe nicht flexibel genug sind.
Stuttgart/Düsseldorf. Ole Bischof hat ein schlechtes Gewissen, wenn er seine Geschichte erzählt. Dem Olympiasieger ist es fast peinlich, wie reibungslos bei ihm der Wechsel ins Berufsleben geklappt hat. Der Judoka holte Gold in Peking 2008, vier Jahre später Silber. Nur gut zwei Monate nach der Medaille von London fing er bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers an – als Volkswirt in der Exportfinanzierung. „Bei mir hat sich vieles gefügt“, sagt der 35-Jährige. „Ich bin einer von ganz wenigen, die diesen Übergang glatt geschafft haben.“ Um den Weg von der Judomatte an den Schreibtisch zu meistern, hat er schon während der Sportlaufbahn VWL in Köln studiert – das schaffen die wenigsten nebenbei.
Viele Athleten fallen nach ihrer Sportkarriere in ein Loch. Sie arbeiten jahrelang fokussiert auf Weltmeisterschaften und Olympia hin – wie es danach beruflich weitergehen soll, blenden sie aus. Doch der letzte Wettkampf kommt schneller als gedacht, und die Zeitspanne des Berufslebens ist für Sportler die wesentlich längere.
Im Fußballland Deutschland haben es die Kicker noch am einfachsten: Wer sich geschickt anstellt, hat bereits als Profi ausgesorgt. Ein paar Spieler können im Anschluss auch bei ihren alten Vereinen oder in den Medien arbeiten – oder sie wechseln in die Wirtschaft, wie der Ex-Nationalspieler Christoph Metzelder, der seit 2013 Chef beim Sportableger der Marketingagentur Jung von Matt ist. Doch auch im Fußball bleiben zahllose Spieler auf der Strecke.
Personalberater Manz: „Viel mehr Unternehmen sollten Sportler als Bereicherung sehen.“
Abseits des Fußballs sind die Existenznöte erheblich größer. „Der Fußball hat eine solche Marktmacht, dass der olympische Sport immer weiter an den Rand gedrängt wird“, sagt Ex-Judoka Ole Bischof. 91 Prozent der A-Kader-Athleten fühlen sich nicht auf das Leben nach dem Sport vorbereitet, hat eine Studie der Stiftung Deutsche Sporthilfe ergeben. Zwar versucht die Sporthilfe seit Jahren, die duale Karriere zu fördern – seit kurzem gibt es dazu auch eine Online-Praktikantenbörse für Spitzensportler. Doch für viele Athleten ist die Doppelbelastung aus Sport und Ausbildung wegen straffer Trainingspläne und weltweiter Wettkämpfe nicht zu schaffen. Und noch immer gibt es zu wenige Unternehmen, die flexible Arbeitszeitmodelle anbieten. Viele Sportler gehen daher zu Polizei, Bundeswehr oder Zoll, wo es spezielle Fördergruppen für sie gibt.
Dadurch geht der Wirtschaft viel Potenzial verloren, glaubt Ewald Manz von der Personalberatung Odgers Berndtson, die seit etwa einem Jahr versucht, Athleten in Lohn und Brot zu bringen. „Sportler sind fokussiert, ergebnisorientiert, sie haben einen tollen Teamspirit, gehen die Extrameile, sind mitreißend“, sagt er. „Viel mehr Unternehmen sollten Sportler als Bereicherung sehen.“ Athleten könnten die berufliche Entwicklung nicht so exakt planen wie ihre Sportkarriere. „Da muss die Flexibilität von den Unternehmen kommen“, sagt Manz.
Schwimmer Thomas Lurz hat Glück gehabt. Vor zwei Jahren hielt er einen Motivationsvortrag beim Bekleidungshersteller S.Oliver. Der Chef war begeistert. Seit Anfang 2013 ist Lurz nun schon fest angestellt in der Personalentwicklung tätig, kümmert sich ums Gesundheitsmanagement. Der 34-Jährige ist mehrmaliger Welt- und Europameister im Freiwasserschwimmen, 2012 holte er olympisches Silber. Das Besondere bei Lurz: Er ist noch aktiv, schwimmt 120 Kilometer in der Woche.
Junge Talente wachsen nach, alte fallen raus
Morgens und nachmittags geht Lurz in die Schwimmhalle – davor, dazwischen und danach kann er arbeiten. „Mit dem Smartphone hat sich doch die ganze Arbeitswelt gewandelt“, sagt Lurz. Bei S.Oliver gibt es Vertrauensarbeitszeit. Dadurch hat Lurz für seine sportliche Karriere freie Hand. „Leider ist das in Deutschland nicht der Standard“, sagt er. Lurz studierte neben dem Sport Sozialpädagogik an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt. Bei der Planung seiner zweiten Karriere war er allerdings auf sich allein gestellt. „Die Sportverbände tun nichts“, sagt Lurz. Das gehe runter bis in die Ortsverbände. „Jeder Verband müsste eine eigene Karriereabteilung gründen.“ Andere Länder würden es längst so machen.
Das Problem in allen Sportarten: Junge Talente wachsen nach, die alten fallen raus – und werden fallen gelassen. Viele der ehemaligen Spitzensportler kritisieren auch den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Zwar gebe es an den Olympiastützpunkten mittlerweile Laufbahnberater – aber wirklich viel tun könnten diese auch nicht. Die Versuche der Verbände seien zu zaghaft, klagen viele Sportler hinter vorgehaltener Hand.
„Es muss mehr von den Unternehmen, aber auch von den Sportverbänden getan werden für Karrieren nach der Sportkarriere“, sagt auch die ehemalige Hockeyspielerin Fanny Rinne. „Und das nicht erst, wenn der Moment des Abschieds gekommen ist.“ Rinne war Olympiasiegerin 2004 in Athen, beendete 2012 ihre Laufbahn. Sie hat nebenbei Sportwissenschaften studiert und arbeitet im Marketing des Sportartikelherstellers TK Hockey. Auch sie hat den Übergang gemeistert – allerdings sei das im Hockey auch eher möglich als in anderen Disziplinen. „Es gibt Sportarten, wo man sich entscheiden muss: Schule oder nicht, Sport oder Ausbildung?“, erklärt Rinne. „Man will, dass Sportler für Deutschland Leistung bringen, aber oft steht ihr Leben nach dem Sport dadurch auf wackligen Füßen.“
Die Sporthilfe will den Übergang erleichtern
Es ist schwer, an genau diese Fälle heranzukommen: Wer Meisterschaften oder Olympia gewonnen, wer das „Made in Germany“ in die Welt getragen hat, redet ungern über Misserfolg im Berufsleben. Jan Wolfgarten ist einer der wenigen, die sich trauen. Er ist Schwimm-Europameister und deutscher Rekordhalter auf 1 500 Meter Freistil. Im Juli 2012 beendete er seine Karriere – seitdem verdingt er sich als Zweitliga-Schwimmtrainer in Hohenbrunn, Landkreis München. „Man macht sich nicht viele Gedanken, man schwimmt so vor sich hin, tourt durch die ganze Welt“, sagt Wolfgarten. „Ich habe unterschätzt, wie schwer der Übergang sein kann.“ Gegen Ende 2011 fing er eine Trainerausbildung an. „Das hätte ich schon viel früher machen sollen“, gibt er zu. Ein Job in der freien Wirtschaft kam für ihn nicht infrage. „Wenn man erst mit 30 ins Unternehmen kommt, hat man viele Jahre aufzuholen und muss ganz neu anfangen“, sagt Wolfgarten. Viele Personalabteilungen könnten mit Sportlern nichts anfangen. „Sie haben keine Praktika, das Studium ist viele Jahre her – da fallen sie durchs Raster.“
Florian Dubbel will genau das ändern. Er ist bei der Sporthilfe für „Sprungbrett Zukunft“ zuständig. Im Jahr 2013 startete das Projekt, das sich aus drei Elementen zusammensetzt, von denen Spitzensportler profitieren sollen: Praktika-Vermittlung, Mentorenprogramm und Kennwortbewerbung. 140 Unternehmen haben sich angeschlossen – von Dax-Konzernen hin zu Zwei-Mann-Agenturen. „Der Übergang in den Job ist für uns eines der wichtigsten Themen“, sagt Dubbel. Wie gut „Sprungbrett Zukunft“ allerdings anläuft, lässt sich nicht bemessen. Aktuelle Zahlen gibt die Sporthilfe nicht heraus – nur die Info, dass bereits 75 Sportler einen Manager als persönlichen Mentor gefunden hätten.
In anderen Ländern funktioniert die Förderung schon besser. „Nationen wie Polen und selbst Ägypten fördern die Sportler mehr beim Übergang in den Job als hier in Deutschland“, sagt der ehemalige Gewichtheber Matthias Steiner. Es sei wichtig, „den Sportlern Perspektiven zu bieten“. Die Sporthilfe leiste hier schon viel, „aber die Wirtschaft müsste noch viel offener sein“. Steiner, der 2008 in Peking die Goldmedaille holte und seitdem den Titel „stärkster Mann der Welt“ trägt, beendete Anfang 2013 seine Karriere und vermarktet sich seitdem selbst. Er schreibt Bücher, hält Vorträge, wird für Fernsehauftritte gebucht. Angst vor dem Karriereende hatte er nie, sagt Steiner. „Man darf sich für nichts zu schade sein, wenn man Neues beginnt.“ Auch eine Rückkehr in seinen alten Job als Installateur hätte er sich vorstellen können. Zurück auf Los also. Doch „damit haben viele Sportler, die weit oben waren, ein Problem“, weiß er.