Die schwächelnde Konjunktur und das Ende des Verbrenners machen den Autozulieferern schwer zu schaffen. Nun gibt es Probleme bei der Kreditvergabe.
Stuttgart, München, Frankfurt, Düsseldorf, Erfurt. Gerade mal zwei Jahre fehlten noch bis zum großen Jubiläum, als die Firma August Küpper den zweiten Insolvenzantrag stellen musste. Im Dezember 2018 war das – die Gießerei aus Heiligenhaus gab es da schon 98 Jahre. Noch Anfang 2019 protestierten die Mitarbeiter gegen die Schließung, sie hofften bis zuletzt auf Rettung. Doch vergeblich: Im März war alles vorbei, 200 Menschen verloren ihren Job.
Dabei hatte Insolvenzverwalter Jens Schmidt bis zuletzt nach Geldgebern gesucht, Hakan Civelek von der IG Metall nach sozialverträglichen Lösungen. Beide wollten August Küpper wieder auf die Beine stellen, den Betrieb mit frischem Kapital durch die Transformation der Autobranche lotsen.
Doch in Zeiten der Antriebsrevolution, in denen Volkswagen einen ganzen Autokonzern elektrifiziert und Tesla-Chef Elon Musk eine gigantische Batteriefabrik in der Nähe von Berlin hochziehen will, kauft keiner mehr Turboladergehäuse und Abgaskrümmer aus Nordrhein-Westfalen. Und finanzieren wollte den kleinen Zulieferer erst recht niemand.
Natürlich gab es auch hausgemachte Probleme, doch Gewerkschafter Civelek sieht auch bei den Banken eine Teilschuld für den Niedergang: „Im Falle von August Küpper hat der Widerwillen der Banken und Investoren, kleinere Autozulieferer mit Transformationsaufgaben zu finanzieren, sicherlich einen Anteil“, erklärt Civelek.
So wie in Heiligenhaus geht die Angst gerade in vielen Regionen Deutschlands um. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht Stellenkürzungen, Werksschließungen oder gar eine Insolvenz verkündet werden. Ursache ist ein Mix aus geopolitischen Problemen: Die deutsche Konjunktur bricht ein, Chinas Nachfrage schwächelt, hinzu kommen die weltweiten Handelsstreitigkeiten und der ewige Unsicherheitsfaktor Brexit. Gleichzeitig sind viele Zulieferer auch nicht wirklich für die elektrifizierte Zukunft aufgestellt, haben die Transformation verschlafen.
Zu allem Überfluss stockt nun auch noch ein Mechanismus, der bislang wie selbstverständlich funktionierte: die Finanzierung durch Banken. Viele Institute werden vorsichtiger bei der Kreditvergabe. Das Stichwort „Automotive“ reicht – schon gehen die Geldhäuser in Deckung.
Zu groß erscheint das Risiko der konjunktursensiblen Branche, zu undurchsichtig sind die Erfolgsaussichten im Strukturwandel vom Verbrennungs- zum Elektromotor. Eine Gemengelage, die das letzte bisschen Investitionsbereitschaft der Zulieferer abwürgen könnte.
Viele Unternehmen wollen über diese Probleme nicht offen sprechen. Bei vielen geht die Angst um, Auftraggeber zu verlieren, sollten diese von den Finanzierungsschwierigkeiten erfahren. Für kleine und mittlere Unternehmen ist das ein Desaster: Anders als Big Player wie Continental, Hella oder Leoni können sie sich nicht über den Kapitalmarkt finanzieren. Doch gerade jetzt, wo die Epoche des Verbrennungsmotors langsam zu Ende geht und Millioneninvestitionen nötig sind, lassen die Banken kleine Zulieferbetriebe im Stich.
„Wir sehen aktuell, dass Banken und Investoren ihnen bei langfristigen Projekten die Unterstützung entsagen“, sagt IG-Metaller Civelek. Die Unternehmen könnten dadurch nicht in Produkte investieren, die von großen Zulieferern und Herstellern künftig nachgefragt würden. Ohne Kredite und das Zutrauen von Investoren könnten die Firmen diese Umbrüche nicht überstehen, glaubt Civelek.
Diese Sorge treibt auch Rico Chmelik um. Der 36-Jährige empfängt in seinem Büro in der Erfurter Altstadt. Chmelik ist Geschäftsführer von Automotive Thüringen, einem Netzwerk von 93 Automobilzulieferern in der Region. 9,4 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet die Branche in dem Bundesland – mit Abstand die wichtigste Industrie. „Die Anforderungen der Hausbanken bei der Kreditvergabe sind vereinzelt stark angestiegen“, weiß Chmelik.
Viele Unternehmen müssten transparent und glaubhaft nachweisen, dass ihr Produkt noch zukunftsfähig ist. „Die Kreditvergabe wird zu einer olympischen Disziplin.“
Hinter Chmeliks Schreibtisch hängt das Poster eines Aston Martin, des Dienstwagens von James Bond. Chmelik hatte schon immer ein Faible für Autos. Das Poster, es soll ihn daran erinnern, dass Autos auch Spaß und Schönheit bedeuten können. Denn gerade liefert seine Branche eher Hiobsbotschaften am Fließband, vor allem aus der Region rund um Eisenach: Mitec und JD Norman sind in die Insolvenz geschlittert.
Plastic Omnium wird dort ein Werk für Kraftstofftankleitungen schließen. Und auch der italienische Zulieferer Autotest gibt auf.
Es sind besonders die Einzelteillieferanten, die Probleme bekommen. Sie stehen ganz unten in der Pyramide der Zulieferer. „Modulteile-Zulieferer haben es da schon viel besser“, meint Chmelik. Er rät den Unternehmen daher, technologieoffen zu sein und zu prüfen, ob sie sich mit anderen Betrieben zu einem Modulbauer zusammenschließen können.
Doch das ist kostspielig: „Die Firmen brauchen dringend Kredite, um sich zu transformieren“, betont Chmelik. Weil die Banken vorsichtiger werden, „wird vielerorts die langfristige Zukunftsperspektive unsicherer“.
Wie genau es um seine Branche steht, hat Chmelik erstmals in einer breit angelegten Studie ermittelt, die dem Handelsblatt vorab vorliegt. 190 Unternehmen mit zusammen rund 55.000 Mitarbeitern wurden angefragt, rund 80 Rückmeldungen gab es. Mehr als die Hälfte der Unternehmen vermeldete im Vergleich zum Jahr 2018 Umsatzrückgänge zwischen 15 und 20 Prozent. 40 Prozent der Betriebe haben sogar Arbeitsplätze abgebaut. Doch immerhin 20 Prozent der Firmen verzeichneten ein Umsatzwachstum – und knapp ein Viertel baute sogar Personal auf.
„Wir haben noch keine Krise“, meint Chmelik. „Aber es ist eine Delle.“ Überraschendes Ergebnis ist der Blick in die nahe Zukunft: Die Elektromobilität sehen nur 13 Prozent der Betriebe als größte Herausforderung. 40 Prozent bezeichnen hingegen die erfolgreiche Erschließung neuer Produktfelder als größte Hürde. Dafür braucht es aber Investitionen – und in der Regel Kredite.
Kahlschlag in der ganzen Branche
Die Entwicklung in Thüringen steht nur stellvertretend für die ganze Republik. In jedem Bundesland finden sich kleine und große Zulieferer, die unter Druck stehen. Spätestens nach der Ankündigung des Fahrzeugteile-Lieferanten Brose aus Coburg, in den kommenden drei Jahren 2.000 der 9.000 deutschen Stellen streichen zu wollen, ist die Dimension der Krise nicht mehr zu leugnen. Der Arbeitsplatzabbau der Autozulieferer liegt längst schon im fünfstelligen Bereich.
Continental erwägt sogar Werksschließungen. Wegen des zu erwartenden Aussterbens der Verbrennungsmotoren stehen hier 20.000 Jobs auf dem Prüfstand, allein in Deutschland liegt die Zahl bei 7.000. Konzernchef Elmar Degenhart sieht keine Alternative und verteidigt den Sparplan.
Es sei ein herausfordernder, „aber notwendiger Prozess zur Sicherung unserer Zukunftsfähigkeit“, erklärte der CEO Anfang dieser Woche. Der Großteil der Mitarbeiter in Deutschland dürfte aus dem Antriebsbereich stammen, den Continental abspalten wird – und der unter Vitesco Technologies firmiert. Allein im dritten Quartal sackte die operative Ebit-Marge der Antriebssparte auf ein Minus von 6,5 Prozent ab.
Auch Weltmarktführer Bosch rechnet wegen der schwachen Dieselnachfrage mit einem deutlichen Stellenabbau. Zuletzt trafen die Kürzungspläne Schwäbisch Gmünd, bis zum Jahr 2022 sollen dort 1.000 Arbeitsplätze wegfallen.
Obendrein sollen am Diesel-Stammsitz in Feuerbach und in Schwieberdingen zusammen 1.600 Jobs gestrichen werden. „Wenn wir bei einem Dieseleinspritzsystem zehn Mitarbeiter beschäftigen, sind es bei einem Benzinsystem drei – und bei einem Elektrofahrzeug ist es nur noch einer“, gestand Bosch-Chef Volkmar Denner. Allein bei Bosch hängen nach eigenen Angaben weltweit gut 50.000 Arbeitsplätze am Diesel.
Blick in die Blackbox
Der Automobilsektor, einst Rückgrat der deutschen Wirtschaft, wird allmählich zur Risikobranche. „Die Banken schauen jetzt genauer hin bei der Kreditvergabe“, erklärt ein hochrangiger Automanager – außer man sei systemrelevant. Ein Betrieb, der an einen Hersteller Komponenten für eine laufende Serie liefere, werde weiter Unterstützung finden. „Sonst steht die Produktion, da ist der Druck enorm.“
Den Kauf von Lackieranlagen wie von Eisenmann könnten Autobauer hingegen in finanziell schwierigen Zeiten hinauszögern. Das Unternehmen aus Böblingen musste Ende Juli Insolvenz anmelden. Auch, weil die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) nach Informationen des Handelsblatts den Kredit gekündigt haben soll.
Der Kredit war an bestimmte Bedingungen („Covenants“) geknüpft. Hält eine Firma die vereinbarten Kennziffern nicht ein, können die Banken den Vertrag restrukturieren – dürfen ihn aber auch kündigen. Die LBBW soll von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch gemacht haben, will sich aber dazu nicht äußern.
Die Bank, die besonders viele Kredite an Zulieferer vergibt, hat vor Kurzem angekündigt, dass sie ihr Engagement im Automobilsektor „leicht reduzieren“ wird. Mehr als zwölf Milliarden Euro hat das Institut an Autobauer, Zulieferer und Autobanken verliehen. Damit fließen 15,5 Prozent aller Firmenkundenkredite in die Branche – eine hohe Konzentration.
Doch auch andere Institute werden vorsichtig. „Wir schauen bei Krediten an die Autobranche genauer hin“, sagte der Leiter der Vertriebsstrategie der Helaba, Heinrich Maaß, unlängst der Agentur Bloomberg.
Das bedeutet aber nicht, dass Banken die Zulieferer grundsätzlich meiden. Die Deutsche Bank etwa plant im Firmenkundenbereich derzeit nicht, sich aus zyklischen Branchen wie Automobil zurückzuziehen. Das Institut fragt aber seine Kunden, wie sie sich auf die Krise und die strukturellen Umbrüche einstellen. „Wenn ein Kunde früh gegensteuert und eine Strategie für die Trends der Branche hat, dann spricht auch heute nichts gegen eine Anschlussfinanzierung“, sagte Firmenkundenspezialist Michael Schleef kürzlich dem Handelsblatt.
Für viele Banken sind die Zulieferer eine Blackbox. „Die Institute haben nicht genug Expertise, um wirklich einschätzen zu können, welcher Zulieferer gut oder schlecht für die Transformation gerüstet ist“, erklärt ein Brancheninsider. Das lasse sich nicht über finanzielle Kennzahlen ablesen – „dafür braucht man ein detailliertes Verständnis der Technik und Gesetzgebung“.
Der Gießereiverband BD Guss führt sogar jedes Jahr einen Bankentag durch, um den Finanzinstituten die Besonderheiten der Branche zu erklären. „So wollen wir verhindern, dass eigentlich gut aufgestellte Zulieferer von den Banken und Investoren in Sippenhaft genommen werden“, sagt Heiko Lickfett, Bereichsleiter Wirtschaft bei BD Guss.
Dass die Institute ihre Engagements im Automobilbereich nun genauer prüfen, hängt auch mit dem wachsenden Druck der Bankenaufseher zusammen. Die Aufsicht führe Gespräche mit Banken, die dort besonders hohe Kreditbestände haben, heißt es in Finanzkreisen. Sie wolle von betroffenen Instituten genau wissen, wie riskant diese Darlehen sind und wo Klumpenrisiken entstehen.
Zusätzlicher Druck wird außerdem durch neue Vorgaben aufgebaut. Vor Kurzem etwa hat die Finanzaufsicht Bafin ein Merkblatt zur Konsultation gestellt. Darin fordert sie die Finanzbranche auf, Nachhaltigkeitsaspekte stärker in den Risikoanalysen zu berücksichtigen.
Um zu illustrieren, was sie damit meint, verwendete die Bafin als Beispiel einen Bankkredit an einen Autozulieferer, der Teile für konventionelle Antriebe herstellt. „Eine Ablösung des Verbrennungsmotors durch andere Technologien macht das Geschäftsmodell des Kreditnehmers obsolet“, warnt die Bafin. In so einem Fall droht einer Bank nämlich der Ausfall ihres Kredits.
2020 wird ein kompliziertes Jahr
Derartige Merkblätter sind juristisch zwar unverbindlich, in der Praxis entwickeln sich solche Vorgaben aber schnell zu einem Branchenstandard, weil Banken und Versicherer sich daran meist freiwillig halten, um keinen Ärger zu riskieren.
„Unsere Messlatte für die Vergabe von Kreditlinien an Zulieferer steigt – zumal 2020 ein äußerst schwieriges Jahr für die Branche wird“, bestätigt Michael Karrenberg, der beim Kreditversicherer Atradius das Geschäft in Europa und Russland analysiert. Konkret bescheinigte das Unternehmen der Autoindustrie wachsende Forderungsrisiken und hob seine Bewertung von „durchschnittlich“ auf „erhöht“ an.
Kreditversicherer übernehmen gerade in Krisenzeiten eine wichtige Funktion: Sie springen immer dann ein, wenn Waren oder Dienstleistungen gar nicht oder verspätet bezahlt werden. Die Volumina, die Konzerne wie Euler-Hermes, Atradius oder R+V vor Ausfällen schützen, sind gewaltig. 2018 deckte die Branche hierzulande Lieferungen im Wert von mehr als 420 Milliarden Euro ab.
Doch die Kreditversicherer sind frei darin, die Bonität von Abnehmern anzupassen – und Lieferanten den Schutz zu verwehren. „Wir schauen bei den Automobilzulieferern stringenter hin als in den vergangenen Jahren“, sagt Karrenberg.
Dabei stellen er und sein Team sich stets drei entscheidende Fragen: Hat das Unternehmen auch mittel- bis langfristig eine Überlebenschance? Ist die Firma innovationsfähig genug, um schnell alternative Produkte in den Markt bringen zu können, falls das Kerngeschäft wegbricht? Und ist die Geschäftsführung in der Lage, den Transformationsprozess der Branche zu begleiten?
Gefahr von Zahlungsausfällen
„Gerade bei kleineren und mittleren Zulieferern, die stark vom Verbrennungsmotor abhängen, sind diese Fragen nicht immer mit Ja zu beantworten“, konstatiert Karrenberg. Die Gefahr von Zahlungsausfällen und -verzögerungen habe erheblich zugenommen. Seit Anfang 2019 beobachtet er neben sinkenden Umsätzen und Gewinnen, dass immer mehr Kreditnehmer ihre bindenden Zusicherungen nicht mehr einhalten können. Auch die Zahl der Restrukturierungen steigt dynamisch.
Die Folge: Die Anzahl an Firmenpleiten in der Autoindustrie dürfte dieses Jahr in Deutschland um mindestens zwei Prozent zulegen. Viele Zulieferer der zweiten und dritten Ebene litten unter einer „Vorfinanzierungslast“ und müssten immer häufiger unkomfortable Vorgaben der Hersteller akzeptieren, zum Beispiel die flexible Abnahme von Serienteilen, erläutert Karrenberg: Würden dann weniger Teile abgenommen als ursprünglich kalkuliert, gerieten die Unternehmen in Liquiditätsnöte.
„Banken und private Kreditfonds halten sich bei neuen Engagements oftmals zurück“, erklärt Robert von Finckenstein. Er ist Managing Partner bei Alantra, einer Beratungsfirma, die Unternehmen unter anderem bei Übernahmen und Finanzierungen zur Seite steht. „Wichtig sind vertrauensbildende Maßnahmen seitens der Zulieferfirmen.“ Sie müssten gegenüber den Banken transparent zeigen, wie sie den Geschäftsverlauf in den kommenden Quartalen einschätzen.
Um den finanziellen Spielraum der Firmen zu erhöhen, raten von Finckenstein und seine Kollegen nicht selten dazu, Unternehmensteile zu veräußern, um Kredite abzulösen. „Außerdem gibt es Family Offices, die eventuell bereit sind, Eigenkapital für Minderheitsanteile zu geben.“ Das gelte aber weniger für Unternehmen, die ausschließlich an der traditionellen Antriebstechnik hängen. „Hier winken Private-Equity-Häuser oftmals ab und sind nicht geneigt, Kapital zu investieren.“
Co-Autoren: Martin-Werner Buchenau, Franz Hubik, Roman Tyborski, Peter Köhler, Yasmin Osman