Bars und Restaurants sollen wieder öffnen, fast alle Schüler zurück in den Präsenzunterricht. Premier Draghi riskiert mit seinem Öffnungsplan zu früh zu viel. Ein Kommentar
Italien wagt den Schritt in die Normalität: Restaurants und Bars sollen in der kommenden Woche wieder öffnen, erstmals auch abends. Fast überall im Land dürfen die Schüler in den Präsenzunterricht zurück. Mitte Mai öffnen dann die Schwimmbäder, kurze Zeit später Kinos und Theater. Die Regierung geht mit der Öffnung „ein begründetes Risiko“ ein, erklärte Premier Mario Draghi. Doch das Risiko ist viel zu hoch.
Natürlich nimmt der Unmut der Italiener zu. Die monatelangen Lockdowns schlagen allmählich aufs Gemüt. Die Demonstrationen werden größer, am Montag blockierten Gastronomen ein Stück Autobahn bei Florenz. Die Öffnungen aber könnten der erste Fehlgriff des neuen Regierungschefs sein, der viel Vertrauen kosten dürfte.
Virologen im Land warnen vor allem vor der Schulöffnung. Nur in den Lockdowngebieten, den „roten Zonen“, soll es weiter Fernunterricht geben. In allen anderen Regionen will Draghi ab dem 26. April alle Altersstufen in die Schulen lassen. Dabei sind 20.000 Klassenräume in Italien zu klein, um die Abstandsregeln einzuhalten.
Auch in Bussen und Bahnen wird eine Schüler-Volllast nicht funktionieren. Mehrere Regionen versuchen noch, die Regierung in Rom umzustimmen – doch bislang steht der Öffnungsplan.
Die Daten zeigen zwar in die richtige Richtung: Infizierten sich Mitte März im Schnitt noch 21.500 Menschen am Tag, sind es einen Monat später nur noch 14.500. Am Dienstag fiel die Zahl der Neuinfektionen sogar unter 9000. Doch die Zahlen sind trügerisch.
Italien: Impfen geht viel zu langsam
Lockerungen führen dazu, dass sich Menschen auch lockerer verhalten. Genau das Gegenteil ist aber nötig: Wer öffnet, muss sich noch viel mehr als vorher ans Maskentragen und an die Abstandsregeln halten. Sonst schlägt das Virus umso härter zurück.
Die landesweite Sieben-Tage-Inzidenz liegt immer noch bei 164. Ein Wert, bei dem in Deutschland niemand an Lockerungen denkt. Zudem läuft ein pandemischer Riss durchs Land: Während sich die Situation im wirtschaftsstarken Norden verbessert, steigt die Infektionskurve im Süden wieder an.
Auch die Impfkampagne verläuft viel zu schleppend. Erst 7,5 Prozent der Bevölkerung haben zwei Impfdosen bekommen. Noch im April sollte die Kampagne 500.000 Dosen am Tag verimpfen. Das Ziel scheint unerreichbar: Bis auf einen Tag blieb die Zahl verabreichten Dosen immer unter der 350.000er-Marke.
Ein mahnendes Beispiel für zu frühe Lockerungen kommt ausgerechnet aus Italien selbst: Sardinien wurde schon zur Covid-freien Insel erklärt, wechselte als erste Region zur „weißen Zone“, in der es neben der Maskenpflicht keine weiteren Maßnahmen mehr gibt.
Mit Neid blickten die Freunde vom Festland auf die Rückkehr des normalen Lebens. Doch nach nur fünf Wochen war der Spaß vorbei: Sardinien wechselte aus der weißen Zone direkt zum roten Risikogebiet – mit Lockdown und harten Ausgangssperren.
Die Infektionskurve ist so steil nach oben geschnellt, dass die Kapazitäten der Intensivbetten schon fast wieder die kritische Schwelle überschritten haben. Der R-Wert, der anzeigt, wie viele Personen ein Infizierter im Mittel ansteckt, lag zuletzt bei 1,38 – so hoch wie nirgends sonst in Italien.