Zu viele Menschen in Italiens Gesundheitssektor sind noch nicht geimpft. Nun kommt die Pflicht. Wer sich weigert, kann bis Jahresende vom Dienst suspendiert werden.
Rom. Dass die Impfkampagne die oberste Priorität von Italiens neuer Regierung ist, hat Premier Mario Draghi mehrfach klargemacht. Nun hat sein Kabinett ein neues Dekret mit einer drastischen Maßnahme verabschiedet: Das gesamte Gesundheitspersonal muss sich impfen lassen. Von der Regelung betroffen sind neben Medizinern und Krankenpflegern auch Apotheker und Ärzte mit eigener Praxis.
Personal, dass sich nicht impfen lassen will, muss Aufgaben ohne direkten Kontakt mit Patienten oder Kunden übernehmen. Gibt es diese Ausweichmöglichkeit nicht, können die Verweigerer solange vom Dienst suspendiert werden, bis die nationale Impfkampagne abgeschlossen ist. Das bedeutet: Zwangsurlaub ohne Gehalt. Und das maximal sogar bis Jahresende.
Die Regionen müssen den lokalen Gesundheitsbehörden die Namen derjenigen übersenden, die noch nicht geimpft worden sind. Innerhalb von fünf Tagen muss dann genau dargelegt werden, warum eine Ausnahme von der Impfpflicht beantragt wird. Die gibt es nur unter ganz speziellen Bedingungen, etwa wenn die Impfung nachweislich eine gesundheitliche Gefahr für die betreffende Person darstellen könnte.
Das Gesundheitspersonal gehörte in Italien zur ersten Gruppe, die Corona-Impfungen erhielt. Laut Zahlen der Regierung liegt dort die Impfquote mit einer Dosis derzeit bei 86 Prozent. Mit zwei Dosen durchgeimpft sind 71 Prozent des Personals. Laut Schätzungen der nationalen Gesundheitsagentur von Agenas haben rund 35.000 Menschen im Gesundheitswesen noch keine Impfung erhalten.
Darunter sind auch viele Verweigerer: Erst vor Kurzem sorgte eine Krankenschwester aus Genua für Schlagzeilen, die sich nicht impfen wollte, an Covid-19 erkrankte und dadurch einen Hotspot in ihrem Krankenhaus verursacht haben soll. Vier Patienten starben dort, mehrere Angehörige erstatteten Anzeige bei der Staatsanwaltschaft.
Arbeitsrechtsklagen erwartet
Das größte Problem sind aber die Alten- und Pflegeheime: Dort hat das Personal mit den ältesten und verletzlichsten Mitbürgern zu tun, von denen zwar schon viele immunisiert sind – aber eben noch lange nicht alle. Genaue Zahlen zu den Heimbewohnern gibt es nicht. Aber schaut man auf die gesamte Bevölkerung Italiens, sind laut der unabhängigen Gesundheits-Stiftung Gimbe erst 28,3 Prozent der Über-80-Jährigen mit zwei Dosen geimpft.
Es ist ein drastisches Mittel, das Draghi und seine Minister anwenden. In den sozialen Medien wird die Pflicht einerseits als „Verrat an der Verfassung“ bezeichnet, einige Pfleger fühlen sich als Teilnehmer eines „Impf-Experiments“. Befürworter der Impfpflicht wollen sie hingegen auf die ganze Bevölkerung ausweiten.
Die Maßnahme wird mit Sicherheit auch bald die Gerichte beschäftigen: Juristen erwarten wegen der tiefgreifenden Einschnitte beim Arbeitsrecht mehrere Klagen der Impfgegner.
In Deutschland hat Gesundheitsminister Jens Spahn der Impfpflicht mehrmals eine Absage erteilt. „In dieser Pandemie wird es keine Impfpflicht geben“, erklärte er zuletzt Mitte Januar. Er wolle das Pflegepersonal lieber mit „Argumenten überzeugen“.
Ähnlich wie in Italien wird auch in Frankreich derzeit überlegt eine Impfpflicht für medizinische Berufe einzuführen. Entschieden ist hier aber noch nichts. In Spanien, wo es keine generelle Impfpflicht gibt, ist die Region Galizien noch weiter vorgeprescht: Für die 2,7 Millionen Einwohner im Nordwesten des Landes soll die Corona-Impfung verpflichtend werden. Verweigerern ohne triftigen Grund drohen Strafen von mehreren Tausend Euro.