Diese drei Führungskräfte zeigen, wie sich Kind und Karriere vereinbaren lassen

Kind und Karriere – das schloss sich lange aus. Doch immer mehr männliche und weibliche Manager leben vor, wie es doch geht. Drei Erfolgsgeschichten.

Düsseldorf. Unmöglich, als Chefin eines erfolgreichen Start-ups Kinder zu bekommen? Nicht denkbar, als Teilzeit-Manager befördert zu werden? Unvorstellbar, dass sich beide Partner beruflich verwirklichen und dabei gemeinsam ihre Kinder großziehen?

Die meisten dieser Fragen würden Berufstätige in Deutschland sofort bejahen. Kind und Karriere scheinen sich für viele noch immer auszuschließen. Entweder – oder. Maximale Abweichung von der Norm: Der Mann ist Hauptverdiener und die Frau steuert finanziell etwas bei, indem sie jobbt, während sie eigentlich für Haushalt und Erziehung zuständig ist.

Wissenschaftliche Untersuchungen belegen das. Laut einer neuen Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sind zum Beispiel vier Fünftel aller Teilzeitjobs von Frauen besetzt. Ein Karrierekiller. Und elf Jahre nachdem die Elternzeit eingeführt wurde, nimmt zwar schon jeder dritte Vater die Familienauszeit, in der Regel aber nur die vom Staat finanziell geförderten zwei Monate fürs Wickel-Volontariat. Von den berufstätigen Müttern hingegen verabschieden sich laut der Böckler-Studie 96 Prozent in die Elternzeit, die meisten davon ein ganzes Jahr.

Im Sinne der Wirtschaft mit ihrem Wunsch nach deutlich mehr Frauen in Führungspositionenist das nicht. So wird weder für mehr Vielfals in Abteilungen und Geschäftsführungen gesorgt, noch dem aufgrund des demografischen Wandels drohenden Fachkräftemangel angemessen begegnet. „Am wichtigsten ist es flexible Arbeitszeiten zu ermöglichen“, sagt die Soziologin Yvonne Lott. Die eigene Arbeitszeit an seine Aufgaben anpassen zu können sei der Schlüssel, um Eltern zu fördern. Und, ebenfalls wichtig: Das Müttersein dürfe nicht als Signal für geringeren Arbeitseinsatz gesehen werden.

Höchste Zeit also für engagierte Vorreiter auf den Chefetagen, um scheinbare Gewissheiten über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu widerlegen. Zeit für mutige Tabubrecher im Kreis der Führungskräfte und Firmenchefs, die alte Rollenmuster überwinden und Neues wagen, für sich selbst wie für ihre Mitarbeiter.

Zu ihnen zählen die Gründerin Lea-Sophie Cramer, das Berliner Oberarztpaar Nina und Jan-Peter Siedentopf und die beiden hochrangigen Teilzeitmanager der Deutschen Bank, Lisa Witney und Holger Reiher.

Die Gründerin

Wer gründet, muss seine ganze Energie in die Firma stecken – so lautete bislang das Credo in der Start-up-Szene. Lea-Sophie Cramer hat gezeigt, dass beides geht: Gründen und Kinderkriegen. Ihr Sohn ist mittlerweile zweieinhalb Jahre alt, die Tochter wurde im Oktober 2017 geboren. Mit beiden Kindern blieb sie nur jeweils acht Wochen zu Hause. Schon zwei Tage nach der Geburt beantwortete sie E-Mails. „Für mich ist der Job Leidenschaft, er gibt mir Energie und macht mich glücklich“, sagt Cramer.

Die 31-Jährige ist Co-Gründerin und Chefin von Amorelie, einem Berliner Start-up mit knapp 100 Mitarbeitern, das Sexspielzeug aus der Schmuddelecke herausgeholt hat und als Liebes-Lifestyle-Zubehör online verkauft. Zu 98 Prozent gehört das Unternehmen inzwischen dem TV-Sender Pro Sieben Sat 1.

In der Gründerszene ist Cramer eine der wenigen Mütter auf dem Chefsessel. Ihr Partner ist als Unternehmensberater viel unterwegs. „Wir beide arbeiten mit Herzblut und Leidenschaft – und gönnen uns das auch gegenseitig“, sagt Cramer. Reibungslos verläuft trotzdem nicht alles. „Wenn man mit vollem Herzen Mama und Familienmensch sein und die Kinder nicht ‚outsourcen‘ will, gleichzeitig aber auch die große Verantwortung für ein Unternehmen fühlt, dann ist das ein dauerhafter Balanceakt“, gibt sie zu.

Ihren Sohn brachte sie damals die ersten neun Monate mit in die Firma, samt Au-pair. „Wir hatten ein gemeinsames Zimmer, vorn der Meetingraum mit meinem Schreibtisch, dahinter einen abgetrennten Bereich, in dem ich stillen konnte“, erinnert sich Cramer. Klar sei das ungewöhnlich gewesen, gerade bei Terminen mit Externen, die quasi in ein Kinderzimmer gekommen seien.

Seitdem hat Cramer vieles im Unternehmen geändert. Es gibt jetzt einen extra Eltern-Kind-Raum mit Schreibtisch und Spielzeug. Gerade wenn mal die Kita ausfällt, sei das wichtig. Aber ihr ging es auch um ganz banale, organisatorische Dinge: „Monatliche Teammeetings hatten wir früher immer um 18 Uhr. Das geht nun mal für Eltern nicht, die am Nachmittag zur Kita müssen.“ Heute finden solche Treffen mittags statt.

Für Cramer ist Familienfreundlichkeit nicht nur ein sozialer Akt – sondern ein sinnvolles Investment, „weil man attraktiver wird für Mitarbeiter, gerade für die Generation Y“. Immer mehr Talente unter 35 legen bei der Jobsuche Wert auf Familienfreundlichkeit.

Bei Amorelie scheint die Rechnung aufzugehen: „Es ist das erste Jahr, wo gefühlt 80 Prozent der Bewerber sagen, dass sie sich beworben haben, weil wir ein Unternehmen sind, dem die Förderung von Frauen wichtig ist, und weil wir moderne Arbeitsbedingungen bieten“, erzählt sie.

Mittlerweile würden ihr Bewerber sogar von selbst erzählen, dass sie Kinder haben wollen. „Sie haben keine Angst mehr, dass es sich negativ auf ihre Jobchancen auswirken könnte. Das ist doch super.“ Ende dieses Jahres will Cramer selbst mal wieder etwas wagen: Sie will ein paar Monate in Elternzeit gehen. Zum ersten Mal überhaupt.

Das Oberarztpaar

Als sein erster Sohn 2010 geboren wurde, war Elternzeit für Väter noch etwas relativ Neues. Jan-Peter Siedentopf nahm damals nur zwei Monate – „das Pflichtprogramm“, wie er rückblickend sagt. Aber Siedentopf steigerte sich. Bei der Geburt von Filius Nummer zwei, 2013 war das, nahm er vier Monate frei. Und bei seiner Tochter, sie ist heute zwei, blieb der 47-Jährige gleich sieben Monate zu Hause. Während seine Frau Nina wieder anfing zu arbeiten, kümmerte er sich um die Kinder, machte mit der Jüngsten die Kita-Eingewöhnung. Zeit, die seine Frau für ihre Karriere nutzte.

Beide Siedentopfs sind Geburtsmediziner, lernten sich an der Berliner Charité kennen, Deutschlands größtem Krankenhaus. Seit 2006 ist Jan-Peter Siedentopf dort Oberarzt. Seine Frau wechselte später ins Martin-Luther-Krankenhaus, Stadtteil Wilmersdorf. Hier wurde sie gefördert und befördert – ihrer Elternzeit zum Trotz. „Noch während des Mutterschutzes beim ersten Kind bekam meine Frau die Entfristung “, erinnert sich der Mediziner. Sie machte ihren Facharzt, wurde sogar Oberärztin.

Vor zwei Jahren, als ihr Mann das halbe Jahr zu Hause blieb, wurde sie dann zur leitenden Kreißsaal-Oberärztin befördert – mit einer 20-Stunden-Woche. „Das ist schon sehr untypisch, aber es funktioniert“, sagt er. Drei Tage die Woche ist seine Frau in der Klinik, zwei Tage arbeitet sie als angestellte Ärztin in einer Ultraschallpraxis. Zusammen eine knappe Dreiviertelstelle.

Probleme mit den Kollegen gab es nie. Auch das halbe Jahr Auszeit klappte reibungslos. „Für ein halbes Jahr ist es in der Medizin viel einfacher, einen Ersatz zu finden, weil die Zeit ab sechs Monaten als Weiterbildung angerechnet wird“, weiß Siedentopf. Zwei Oberärzte, drei Kinder. Funktionieren kann das nur mit einer flexiblen Kita – und guter Planung.

„Wir sitzen jeden Tag da und schauen, ob unser Wochenplan noch gilt“, sagt Siedentopf. Kommt er von der Nachtschicht nach Hause, geht er einkaufen, kocht, fast jeden Tag holt er die Kleinen mit dem Rad aus der Kita ab, seine Frau den Ältesten aus der Schule. Und: Seit einem Jahr unterstützt sie an drei Tagen ein Kindermädchen. Und auch Siedentopfs Eltern helfen immer mal aus.

Die Teilzeit-Manager

Jeden Freitag verbringt Lisa Witney mit ihren Kindern: Sie bringt die Sechsjährige in die Schule, begleitet die Vierjährige bei Aktivitäten, spielt mit der Einjährigen im Park. Nur nach dem Mittagessen, da ist sie kurz für dienstliche Anrufe erreichbar, beantwortet E-Mails. Lisa Witney ist Managing Director bei der Deutschen Bank in London. Die Britin ist Head of Central Management im Bereich Wealth Management – und damit auf der höchsten Verantwortungsstufe im Konzern.

Seit der Geburt ihrer ersten Tochter arbeitet Witney Teilzeit. 80 Prozent, freitags hat sie frei. Im Reich der Banker, wo als unausgesprochenes Minimum die 60-Stunden-Woche gilt, ist das höchst ungewöhnlich. Ihrer Karriere hat das nie geschadet. Zweimal hat sie in den vergangenen Jahren die Rolle gewechselt, eine Beförderung war dabei. „Ich hatte immer Chefs, die mich unterstützt haben“, sagt die 39-Jährige.

Ihr Mann ist als Berater viel unterwegs, ohne Nanny würden sie beide Karrieren nicht parallel verfolgen können. „Eine Nanny zu haben, der wir vertrauen, ist sehr wichtig für uns.“ Witney hat das Gefühl, genug Zeit für ihre Kinder zu haben, versucht nicht zu spät zu Hause zu sein, sie ins Bett zu bringen. „Ich habe die richtige Balance für mich gefunden.“

Als Witneys deutscher Kollege, Holger Reiher, zum zweiten Mal Vater wurde, hatte er schon viel in seiner Karriere erreicht. Das machte es leichter, seine Arbeitszeit vorübergehend zu reduzieren, gibt er offen zu. Auch der 52-Jährige ist Managing Director, seit 20 Jahren ist er Führungskraft. 2010 wechselte er von der Allianz in München nach Frankfurt zur Deutschen Bank, sein erstes Kind war damals ein Jahr alt.

Bewusst zog er in die Nähe des Büros, war mittags zu Hause, verbrachte auch abends ein paar Stunden bei der Familie – um sich danach wieder an den Schreibtisch zu setzen. Als 2013 Kind Nummer zwei geboren wurde, wollte er mehr Zeit für die Familie haben. Er reduzierte auf 30 Wochenstunden, das Maximum an Arbeit in der Elternzeit. „Weil ich projektbezogen gearbeitet habe, funktionierte das sehr gut.“

Nachdem das zweite Kind abgestillt war, schlief Reiher beim Baby im Zimmer, fütterte nachts mit dem Fläschchen. Er will diese Zeit nicht missen. „Ich habe in den drei Jahren gemerkt, wie wichtig ich für meine Familie bin“, sagt er. Und auch, in der Firma Wichtiges von Unwichtigem zu trennen.

Selbst nach der Rückkehr in die Vollzeit, seine Frau arbeitet als Selbstständige in der Möbelbranche, befolgt er noch ein paar Regeln von damals: weniger Präsenz, weniger Reisen, dafür mehr Vertrauen in die Mitarbeiter.

Nur der Anfang

Es findet ein Umdenken statt in der deutschen Wirtschaft. Aber es ist ein langer Prozess. „Auf dem Level der Führungskräfte ist Teilzeit von den Kunden eher nicht gewünscht“, weiß Silvia Eggenweiler, Partner bei Odgers Berndtson in Frankfurt. Auf den oberen Managementebenen, die sie vor allem vermitteln, spiele Präsenzzeit noch eine sehr große Rolle, auch wenn immer mehr mobiles Arbeiten ermöglicht werde.

„Innerhalb von Unternehmen beobachten wir aber schon eine leichte Verschiebung“, sagt Eggenweiler. Wer etwa länger in einer Firma sei und sich Vertrauen erarbeitet habe, habe es auch einfacher, seine Arbeitszeit zu reduzieren. Und noch etwas ist heute anders: Immer mehr Männer wären bereit, für die Erziehung der Kinder auch im Job zurückzustecken, sich in der Betreuung einzubringen. „Ich kenne mittlerweile einige Paare, wo beide auf 80 oder 70 Prozent reduziert haben“, betont Eggenweiler. „Allerdings nicht im höheren Management.“

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