In Essen feiert die NRW-SPD ihren pompösen Wahlkampfauftakt – und lässt sich von den CDU-Gerechtigkeitsattacken nicht beeindrucken. Die Sozialdemokraten um Regierungschefin Hannelore Kraft schalten auf Gegenangriff.
Essen. Flackernde Spots, Lichtorgeln, vier Großleinwände: Die Bühne in Essen ist bereit fürs Popkonzert. „Liebe ist meine Religion“ singt Frida Gold, „Wovon sollen wir träumen“, „Wir sind zuhause“. Mehr als drei Songs gibt es aber nicht von der Band, selbst ein Ruhrpott-Gewächs. Denn der Hauptact ist heute die Politik. Die SPD feiert ihren Wahlkampfauftakt in Nordrhein-Westfalen. Die Stars sind NRW-Regierungschefin Hannelore Kraft und Kanzlerkandidat Martin Schulz.
Mit dabei ist die gesamte Führungsriege der Bundespartei: Vizekanzler Sigmar Gabriel, Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz, seine rheinland-pfälzische Kollegin Malu Dreyer, Bundestagsfraktionschef Thomas Oppermann. Die SPD-Granden zeigen Gesicht, beweisen, wie wichtig NRW ihnen ist. Gerade jetzt, nach der Niederlage im Saarland, wo die Wähler sich auch aus Angst vor Rot-Rot mehrheitlich für die CDU entschieden haben.
Wo ginge der Neustart das besser als in der alten Sauger- und Kompressorenhalle der Kokerei, Zeche Zollverein, das größte Stück Industriekultur, das NRW zu bieten hat. Auf dem Gelände haben Männer jahrzehntelang im Kohlestaub geschuftet, die „hart arbeitenden Menschen“, die Parteichef Schulz gern in seinen Reden erwähnt. Die „Grand Hall“, seit Januar eine Eventlocation, wird auf beiden Seiten noch immer von schweren grünen Maschinen flankiert.
Dann rückt die Parteiprominenz in die Halle ein. Hannelore Kraft, rotes Jackett und Selfiekamera in der Hand, läuft zusammen mit Schulz in Richtung Bühne, aus den Lautsprechern hämmert „I’ve got the Power“, ich habe die Kraft. Der ganze Saal steht, minutenlanger Jubel. Alles hier fühlt sich an wie eine vorgezogene Wahlparty. Die Partei ist beflügelt von den Umfragen, liegt derzeit mit 37 Prozent komfortable sieben Prozentpunkte vor der CDU.
Noch sind die Attacken der CDU frisch, die sich einen Tag zuvor in Münster zum Landesparteitag getroffen hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Spitzenkandidat Armin Laschet hatten die SPD in die linke Ecke geschoben, ihr vorgeworfen, eine überholte Vorstellung von Gerechtigkeit zu haben. „Sie reden von Gerechtigkeit – aber vergessen, dass Gerechtigkeit ohne Innovation nicht klappt“, erklärte Merkel.
Schulz antwortet darauf in Essen direkt: „Gerechtigkeit ist seit 154 Jahren unser Markenkern“, sagt er in seiner Rede. Innovation hingegen sei nichts für Sonntagsreden. „Innovation braucht man jeden Tag. Sie beginnt in der Kita, in der Ganztagsschule, in der Gebührenfreiheit von Universitäten, wo es dann nicht mehr der Professorentitel der Eltern oder das Einkommen eines Managers einfacher machen, sondern alle Kinder die gleichen Chancen erhalten.“ Schulz schafft es, Merkels Attacke sofort umzudrehen: „Der Begriff Innovation und Gerechtigkeit war auch der, mit dem Helmut Kohl 1998 im Kanzleramt abgelöst wurde.“
„Irrsinn der Konservativen“
Sigmar Gabriel spricht über den „Irrsinn der Konservativen“, die gleichzeitig Steuersenkungen und Investitionen in Bildung, Familien und Rüstung versprechen. „Das ist unseriöse Politik“, sagt er. Das eine oder das andere werde nicht stattfinden.
Auch Hannelore Kraft schießt sich auf den politischen Gegner ein. Die CDU präsentiere veraltete Zahlen, sie jazze jedes „Kinkerlitzchen“ zum Skandal hoch. „Das ist Ablenkung von eigener Inhaltsleere und Konzeptionslosigkeit.“ Auf dem CDU-Parteitag habe sie viel Schlechtreden gehört, aber wenige eigene Konzepte.
Die CDU wackele bei den wichtigen Themen hin und her: Studiengebühren, Internetminister, Einstellung von neuen Polizisten. „So eine Wackel-Dackel-Truppe darf unser Land nicht regieren“, schreit sie ins Mikrofon. Weil die Partei selbst nichts Konkretes vorzuweisen habe, beschimpfen sie lieber die SPD. „Und dafür instrumentalisieren sie sogar ihre Parteichefin und Bundeskanzlerin“, findet Kraft.
Merkel habe die schlechte öffentliche Investitionsquote angeprangert. „Weiß sie etwa nicht, dass der Hauptträger von öffentlichen Investitionen die Kommunen in diesem Land sind?“, fragt Kraft. „Erinnert sie sich nicht, dass es die Regierung Rüttgers von 2005 bis 2010 war, die den Kommunen 3,5 Milliarden weggenommen oder vorenthalten hat?“ Unter ihrem Vorgänger Jürgen Rüttgers hätten 138 Kommunen unter Nothaushalt gestanden, heute seien es nur noch neun.
Aber Kraft weist auch auf ihre eigenen Erfolge hin: Die SPD habe für den ersten positiven Haushalt seit 1973 gesorgt, die Studiengebühren abgeschafft, in den vergangenen sieben Jahren rund 730 000 mehr sozialversicherungsbeschäftige Arbeitsplätze geschaffen. Da will sie ansetzen, weitermachen. „Am 14. Mai wird die SPD die stärkste Kraft sein“, ist sich Martin Schulz sicher. Hannelore Kraft werde Ministerpräsidentin bleiben. Und er sich damit weiter alle Chancen für das Kanzleramt offenhalten.