„Die Entwicklung in Richtung einer NPD war absehbar“

Für Hans-Olaf Henkel war der Rechtsruck der AfD schon lange abzusehen. Mit seiner Partei Alfa will der Ex-AfD-Vize davon profitieren. Einig ist er mit der AfD nur in einer Sache: Merkels Flüchtlingspolitik muss korrigiert werden.

Hans-Olaf Henkel ist gerade ein gefragter Mann. Der Alfa-Abgeordnete hat zwar Sitzungswoche im Europaparlament, ist aber auch für seine Partei im Landtagswahlkampf unterwegs. Vor allem in Baden-Württemberg glaubt die Partei an den Einzug ins Landesparlament. Über seine ehemalige Partei AfD, die zuletzt vor allem mit der Forderung nach einem Schusswaffeneinsatz gegen Flüchtlinge aufgefallen ist, verliert Henkel hingegen kein gutes Wort mehr.

Herr Henkel, schmerzt es Sie als Gründervater nicht, in welche Richtung Ihre ehemalige Partei AfD gerade abdriftet?
Ich bin an diesen Schmerz gewöhnt. Das ist ja keine Überraschung für mich. Diese Entwicklung in Richtung einer NPD oder einer Partei wie dem Front National in Frankreich ist schon seit einiger Zeit abzusehen. Ich habe ja auch schon vor langer Zeit reagiert: Ich darf daran erinnern, dass ich zunächst innerparteilich und intern dagegen Stellung bezogen habe, als die Ausfälle von Höcke, Gauland, Poggenburg & Co. in den Medien erschienen, auch öffentlich. Als weitere Konsequenz habe ich dann meinen stellvertretenden Vorsitz abgegeben. Nach dem Essener Parteitag bin ich dann ganz ausgetreten und mit insgesamt fünf der sieben AfD-Abgeordneten des Europäischen Parlaments in die Alfa-Partei, der Allianz für Fortschritt und Aufbruch, eingetreten.

Aber die Entwicklung in letzter Zeit muss doch auch für Sie erschreckend sein…
Für mich ist das ein kontinuierlicher Prozess, der in den Aussagen von Frau Petry und Frau von Storch nur einen vorläufigen Höhepunkt gefunden hat – das war längst noch nicht alles.

Nicht einmal die NPD würde doch so plump auftreten, wie es die beiden Damen nun mit dem Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge getan haben…
Ich erlebe es hier im Europäischen Parlament: Die Empörung ist durch die Bank in allen Fraktionen groß. Interessanterweise lassen sich die beiden hier in Straßburg in den letzten Tagen nicht mehr blicken. Anscheinend sind sie abgetaucht, weil sie wissen, dass sie hier parteiübergreifend abgewatscht werden. Dieser Kritik wollen sie offenbar durch Aussitzen entgegen.

Warum verfangen solche Parolen offenbar bei so vielen Deutschen?
Das ist nicht spezifisch deutsch. Es gibt ein Potenzial für solch eine Art Partei in vielen Ländern Europas. Man muss aber auch festhalten, dass dieses Potenzial bei uns durch eine falsche Politik geradezu gefördert wird. Bei Alfa – und als wir Alfa-Leute noch in der AfD waren – haben wir uns schon früh darüber mokiert, dass zum Beispiel die  Kritik am Euro nicht gleichzusetzen ist mit Kritik an Europa. Und Kritik an der Flüchtlingspolitik ist nicht gleichzusetzen mit Kritik an Flüchtlingen selber. Aber genau das passiert natürlich.

Punkten Petry und von Storch am Ende sogar noch mit ihren Aussagen?
Die Aussagen über den Gebrauch von Schusswaffen auf Flüchtende an der Grenze sind ja nicht neu! Schon vor Monaten hatte der AfD-Vorsitzende von NRW und Lebensabschnittsgefährte von Parteichefin Petry, Marcus Pretzell, das gleiche gesagt, und der stellvertretende Bundessprecher Alexander Gauland hat später bei Ihnen im Handelsblatt diese Aussage auch noch gut geheißen! Die Wiederholung durch Petry und der expliziten Ausweitung auf Frauen und Kinder durch von Storch – die auf Kinder hat sie inzwischen zurückgenommen – erscheint klar kalkuliert, denn damit können sie bei den immer stärker werdenden Rechtsaußen in der Partei punkten. Auf der anderen Seite wird es viele moderate Leute abstoßen, die die AfD nicht mehr ernstnehmen.

Kann Alfa davon profitieren?
Davon gehen wir aus. Es ist ja ganz offensichtlich, dass durch die Politik des ständigen Linksrutsches von Frau Merkel auf der einen Seite und der dramatischen Radikalisierung der AfD auf der anderen Seite ein großes Potenzial für eine neue Partei entsteht. Und Alfa will bei den anstehenden Landtagswahlen genau dort hinein.

Sie sehen da eine klare Lücke?
Das sehen glaube ich alle. Ich erlebe es ja auch hier im EU-Parlament, wo Leute unter vier Augen, auch von der Europäischen Volkspartei sagen, dass zum Beispiel Merkels Flüchtlingspolitik nicht funktioniert. Es ist logisch, dass die Wähler dann nach einer Alternative suchen. Bisher hatten sie nur die AfD. Für Anständige geht das nun endgültig nicht mehr. Jetzt gibt es nur noch Alfa.

Was ist denn Ihre Lösung?
Auch wir sind der Meinung, dass die Flüchtlingspolitik von Frau Merkel falsch ist, dass sie Europa auseinandertreibt und Deutschland isoliert. Frau Merkel hat für den jetzigen Kuddelmuddel gesorgt. Eine einfache Lösung gibt es aber nicht. Wir haben schon vor Wochen ein Konzept vorgestellt, was auch schon von Teilen der CDU aufgegriffen worden ist. Zum Beispiel das Thema Obergrenze: Wir brauchen eine solche Grenze, aber sie muss sich zusammensetzen aus der Fähigkeit und Bereitschaft aller deutscher Kommunen.

Was heißt das genau?
Wir fragen die Kommunen ab, wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen können und wollen. Die Summe aller Kommunen ist dann die nationale Obergrenze. Das ist ein basisdemokratischer Prozess: Die Kommunen vor Ort, die Bürger entscheiden von unten und nicht Frau Merkel von oben. Dadurch können auch die bereits überlasteten Kommunen entlastet werden. Wir haben ja heute in NRW schon einige Kommunen, die einen Ausländeranteil von über 40 Prozent haben. Das Entscheidende an dem Vorschlag: Es ist eine atmende Obergrenze, weil immer dann, wenn Deutschland in der Zukunft Zigtausende Flüchtlinge zurückschickt, was Frau Merkel ja neuerdings auch will, könnte man auch wieder neue Flüchtlinge aufnehmen, wenn die Kommunen dazu in der Lage sind.

Und das soll ernsthaft funktionieren?
Wir wollen es so machen wie andere Länder auch: Wir suchen uns die Flüchtlinge aus. Zurzeit, das sind die neuesten Zahlen der EU-Kommission, sind 72,3 Prozent der Flüchtlinge, die bei uns Asyl beantragen, Männer. Das führt nicht nur bei uns zu gewaltigen sozialen Konflikten – Stichwort Köln – es führt auch zu riesigen Problemen in den Herkunftsländern. Ich halte es für falsch, dass die  Männer ihre Frauen, ihre Töchter, ihre Mütter verlassen und ungeschützt lassen. Das sind gerade diese Länder, in den Frauen und Mädchen am meisten gefährdet sind – ich denke an die schrecklichen Übergriffe vom IS oder Boko Haram an Frauen und Mädchen. Als erste Stufe einer neuen Flüchtlingspolitik müssen wir die romantische deutsche Willkommenskultur durch eine realistische Hilfskultur für diejenigen ersetzen, die wirklich Hilfe brauchen.

Wie wollen Sie dafür andere Parteien im EU-Parlament überzeugen?
Wir sollten nicht auf europäische Lösungen warten, weil es überhaupt keine gibt. Die Staats- und Regierungschefs haben vor Monaten beschlossen 160.000 Flüchtlinge umzuverteilen. Davon umverteilt sind heute 272. Unser großer Freund Frankreich hat davon 19 übernommen. Wenn sich eine europäische Lösung nicht abzeichnet, müssen wir eben eine nationale finden. Das Dublin-Abkommen muss wieder in Kraft gesetzt werden, wir müssen in der Lage sein, Flüchtlinge wieder abzuweisen, ähnlich wie das die moralische Supermacht Schweden jetzt auch tut. Wenn sich das rumspricht, wird es dazu führen, dass diese Menschen sich nicht mehr auf den gefährlichen Weg zu uns machen.

Glauben Sie das wirklich? Die Menschen suchen sich dann eben andere Wege, um nach Europa zu kommen.
All den Leuten, die hier meinen, sie würden mit der Willkommenskultur Beispiele für gelebte Humanität abgeben, den muss ich mal folgende Frage stellen: Wissen Sie eigentlich, wie viele Menschen nur deshalb ertrunken sind, weil sie der Merkelschen Einladung gefolgt sind? Ich weiß es nicht, aber einige sind es bestimmt. Mein langjähriger persönlicher Freund, der chinesische Konzeptkünstler Ai Weiwei, sammelt gerade Tausende von Schwimmwesten auf griechischen Stränden, um damit in Berlin mit einem daraus entstehenden Kunstwerk an diese Unglücklichen zu erinnern. Viele dieser Flüchtlinge haben sich nicht aus umkämpften Gebieten, sondern aus zwar sehr unkomfortablen, aber sicheren Lagern auf den gefährlichen Weg gemacht!

Aber wenn sie keine europäische Lösung sehen, sind Sie doch im Europäischen Parlament gerade falsch aufgehoben…
Aus der Sicht der nichtdeutschen Kollegen hat Frau Merkel aus dem Flüchtlingsproblem ein deutsches Problem gemacht. Frau Merkel hat sich erpressbar gemacht. Die Griechen setzen ihre versprochene Reform für das dritte Eurorettungspaket nicht in die Tat um, weil Merkel die Griechen jetzt bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise braucht. Frau Merkel hat ausgerechnet den Türken, die sich um Menschenrechte und Pressefreiheit immer weniger scheren, jetzt die beschleunigte Aufnahme in die EU in Aussicht stellen müssen. Diese Flüchtlingspolitik ist ein absoluter Wahnsinn. Daher brauchen wir eine Partei wie Alfa, die eine rationale und vernünftige Flüchtlingspolitik will, eine andere als alle Parteien im Bundestag, aber auch eine andere als die AfD.

Sind Sie jetzt die moderate Alternative für Deutschland?
Ich sage immer gern, wir sind die anständige und vernünftige Alternative.

Was rechnen Sie sich speziell in Baden-Württemberg für Chancen aus?
Entgegen aller Vorhersagen haben wir es geschafft, in allen 70 Wahlkreisen durch vernünftige Kandidaten vertreten zu sein. Überall haben wir die nötigen 150 Unterschriften sammeln und zertifizieren lassen. Das Wahlrecht dort macht es für neue Parteien sehr schwer. Auch in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt haben wir die nötigen Unterschriften zusammen. Nun sind wir in den Ländern unterwegs, auch Joachim Starbatty,  Bernd Lucke, Bernd Kölmel und Ulrike Trebesius machen Wahlkampf in diesen Ländern. Wir erwarten, dass wir es in den Landtag schaffen.

Und die AfD?
Die AfD ist verrottet zu einer Einthemenpartei. Praktisch die gesamte ökonomische Kompetenz ist jetzt bei Alfa, auch die entscheidenden und bekanntesten Familienunternehmer sind bei uns. Irgendwann wird den Baden-Württembergern klarwerden, dass sie eine Partei brauchen, die eine vernünftige Flüchtlingspolitik hat.

Klingt auch nach nur einem Thema.
Das Flüchtlingsthema überlagert doch alles! Wir haben aber auch eine andere Euro- und Europapolitik. Wir treten auch dem Vorschlag entgegen, das Bargeld abzuschaffen. Wir sind für eine Abschaffung der Erbschaftssteuer. Wir werden uns dem Begehren der Linken und Grünen entgegenstellen, die Vermögenssteuer wieder einzuführen. Wir sind technologiefreundlich und unterscheiden uns dadurch auch deutlich von den Grünen. Deutschland braucht eine neue Partei der Mitte. Wir hoffen, dass wir mit Alfa im Lauf der nächsten Jahre ins etablierte Parteienspektrum einziehen können.

Herr Henkel, vielen Dank für das Gespräch.

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