Die Armee reformiert ihre Einsatzverpflegung. Neue Menüs in der Einmannpackung sollen Afghanistan erträglicher machen – und Freiwillige anziehen.
Koblenz. Die Sonne brennt in der afghanischen Einöde. 55 Grad, weit und breit nur Sand und Geröll. Oberfeldwebel Susanne Brick*, 29, und ihre Kameraden sind seit zehn Tagen auf Patrouille unterwegs. Ein dreckiger Job, 5000 Kilometer weg von zu Hause, gefährlich, anstrengend und komplett trostlos. Wäre da nicht dieser neue Geschmack von Heimat. „Da sitzt du mitten in der Pampa“, sagt Brick, „und isst Currywurst. Herrlich!“
Bei der Bundeswehr ist seit einiger Zeit fast nichts mehr, wie es war. Die Truppe führt Kriege im Ausland, sie hat Frauen in die kämpfende Truppe aufgenommen. Die Wehrpflicht ist gefallen. Vieles hat sich geändert, nur eines ist gleich geblieben. Die Bundeswehr schmeckte nach Gulasch mit Kartoffeln, Ravioli mit Champignons, Hamburger in Tomatensauce. Ein Dienst, drei Geschmacksrichtungen aus der Einmannpackung, kurz EPa.
Die mobile Verpflegungsbox war für Generationen Wehrpflichtiger ein Grund, am Sinn der Landesverteidigung zu zweifeln oder nachträglich zu verweigern. Ein grauer Schuhkarton, gefüllt mit ungenießbaren Saucen und harten Keksen, mythenumrankt: Die „Panzerplatten“ sollen, gemischt mit der schwarzen BW-Schuhcreme, einen guten Grillanzünder abgeben. Ansonsten: Gulasch mit Kartoffeln, Ravioli mit Champignons, Hamburger in Tomatensauce. Immer und immer wieder. So eintönig wie der Dienst in der Landesverteidigung.
Jetzt aber schmeckt die Bundeswehr auch nach Currywurst. Diese eigentliche Revolution der Truppe fand ohne Aufsehen und Abstimmung im Bundestag statt. Fürs EPa gilt kein Parlamentsvorbehalt. Einer der operativen Köpfe der stillen Revolution heißt Horst Necker, 55, vom Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) in Koblenz. Früher, sagt Necker, sei das okay gewesen: drei Tage im Feld, drei Geschmäcker. Danach ging man wieder in die Kasernenkantine. „Aber heute sind die Jungs und Mädels teilweise mehr als zwei Wochen am Stück unterwegs.“
So wie Susanne Brick. Die Panzergrenadierin ist vor einer Woche wieder in Deutschland gelandet und darf sich glücklich schätzen, im Feld eine der ersten Testerinnen der neuen kulinarischen Vielfalt gewesen zu sein. Sie sagt einen Satz, der keinem Soldaten zum alten EPa über die Lippen gekommen wäre: „Da sind schon ein paar Sachen dabei, die ich mir auch zu Hause mal kochen würde.“
Wer aus freien Stücken sein Leben am Hindukusch oder in anderen Krisengebieten riskiert, darf zumindest abwechslungsreiche Verpflegung erwarten. 16 neue EPa-Varianten haben Necker und sechs Kollegen vom BWB im vergangenen Jahr entwickelt. Tausende Soldaten befragten sie nach Essgewohnheiten und Geschmäckern. Spanische Paella mit Muscheln, ein griechischer Bifteki-Teller und der „Elchfleisch-Gourmet-Topf“ stehen nun zur Auswahl. Dazu gibt es acht verschiedene Müslisorten, Energieriegel und Traubenzucker. Sogar vegetarische Gerichte sind im Angebot.
Die kulinarische Umrüstung hat sich die Bundeswehr einiges kosten lassen: Bislang gab das BWB etwa 2,7 Millionen Euro pro Jahr für die alten EPas aus. Im Jahr 2010, dem Jungfernjahr des neuen EPa, waren es knapp vier Millionen Euro. Bis Februar 2012 reichen die Vorräte. Dann muss erneut bestellt werden, oder die Bundeswehr kehrt zur alten Kargheit zurück. Das steht noch nicht fest.
Bis ein Fertiggericht in den Einsatz kommt, wird es ausgiebig getestet. Erfüllt es die Nährwertvorgaben? Sind Konsistenz, Geruch und Aussehen in Ordnung? Ist es mindestens zwei Jahre bei Raumtemperatur haltbar? Weit weg vom Basiscamp, im Kampfeinsatz oder auf Patrouille, kann schon ein Durchfall lebensbedrohlich sein.
300 000 EPas lässt Necker jedes Jahr bepacken, Tendenz steigend. Da gibt es starke Interessen, die auf ihn einwirken. Hersteller rangeln um einen Platz in der Packung, und die Bundeswehrführung fürchtet, dass die Kosten aus dem Ruder laufen: Eine der drei alten Sorten, die es auch weiterhin geben wird, kostet inklusive Verpackung und Transport elf Euro. Die neuen Kreationen von Necker und Co. sind teurer, bis zu 18 Euro pro Stück.
Neben Cappuccino-Pulver einer namhaften Kaffeerösterei liegen neuerdings Powerbar-Riegel und Dextro-Energy-Pulver in der Verpflegungstüte. Ein Klassiker bleibt, auch wenn Necker mit besagter Legende um die Panzerplatte aufräumt: „Grillanzünder, das funktioniert nicht. Ich habe es selbst probiert.“
Die Frischzellenkur in der Tüte kommt offenbar gut an. Bei Umfragen gab es nur gute bis sehr gute Noten. Klarer Favorit: Nudeln in Jägersauce.
Die Verpflegungsreform der Deutschen hat sich in der Nato bereits herumgesprochen. Selbst die Amerikaner, sonst das militärische Maß der Dinge, schielen nach dem “ german food“ , hat Soldatin Brick im Einsatz beobachtet: „Die wollen jetzt immer mit uns tauschen.“
Und die neue deutsche Vorbildlichkeit geht weiter. Das erste Essen, das sich Brick zu Hause in Deutschland gegönnt hat, war eine Pizza mit extradick Käse drauf. Pizza gibt es nicht in EPas, technisch sei das leider noch nicht möglich, sagt Necker.
„Aber wir arbeiten dran.“
* Name geändert.