Ein Hauch Pariser Stimmung weht in die Berliner Provinz. Auf der Trabrennbahn Mariendorf trifft sich eine Berliner Welt, die größer ist als ihr Klischee.
Berlin – 18,5 Millionen Euro sitzen entspannt bei Käsebaguettes und trinken Kaffee. Wie reich die fünf Männer genau sind, die gleich über die Piste jagen werden, kann man nicht sagen. Jedenfalls ist das die Summe, die sie allein im vergangenen Jahr an Preisgeldern gewonnen haben – mit Pferderennen. Die Franzosen Franck Nivard, Pierre Levesque, Sébastien Ernault, Franck Ouvrie und der Belgier Jos Verbeeck sind so etwas wie die Superstars der Traberszene. Ein Treffen der Rennprominenz im Berliner Süden, Stadtteil Marienfelde, vier Kilometer von der Landesgrenze zu Brandenburg.
Heinz Adloff kann den Aufgalopp der Stars noch nicht ganz glauben. Der 75-Jährige steht am Freitagabend ganz nah an der Rennbahn Mariendorf und schaut staunend auf die besten fünf Fahrer Europas. „So was kriegt man in den nächsten Jahrzehnten nicht wieder zu sehen“, sagt er. Und er hat schon viel gesehen: Seit 1951 ist er bei fast jedem Rennen dabei. „Ick hab ’ne Pferdemeise“, sagt Adloff. Schon als kleiner Junge ist er auf die Koppeln der Bauern gegangen. „Wir sind auf die Pferde gesprungen und ham uns an der Mähne festgehalten. Zu Hause gab’s deswegen Dresche.“ Seit 1948 lebt der gebürtige Westpreuße in Berlin. Adloff wollte immer Polo-Reiter werden – hat dann aber bis zur Rente auf dem Bau gearbeitet.
Die Pferderennbahn: ein Ort, an dem man extravagante Damen mit großen Hüten erwartet – oder verlotterte Spielsüchtige. Doch beides sieht man hier nicht. Auf der Zuschauertribüne sitzen junge und alte Leute, Familien mit Kindern, Paare mit Ferngläsern. Das Publikum sieht aus wie ein ganz normaler Schnitt durch die deutsche Bevölkerung. Auch Christian Hill ist mit seiner Frau an die Rennstrecke gekommen. Der 69-Jährige ist gebürtiger Franzose, wuchs in Berlin auf. Seine Berliner Schnauze überwiegt klar den leichten Akzent, nur die Baskenmütze macht ihn noch verdächtig. „Die Kraft der Pferde ist einfach faszinierend“, schwärmt Hill. „Und dann gleichzeitig diese Eleganz.“ Auf die Pferde wetten will er aber nicht, „so verrückt bin ich nicht“.
„Auf die Pferde Wetten? So verrückt bin ich nicht“ Christian Hill, Zuschauer
Aber viele andere: Sie tippen auf den Sieger oder auf ein Pferd, das unter die ersten drei kommt. Profis kreuzen die Dreierwette an. Sie setzen darauf, welche Sulkys – die einachsigen Wagengespanne mit ihren Reitern – als Erster, Zweiter und Dritter ins Ziel traben. Ein Mann, der im öffentlichen Dienst arbeitet und deshalb nicht als Pferdewetter enttarnt werden möchte, ist solch ein Profi. Der 44-Jährige kennt jedes Pferd, jeden Reiter, auch die der acht Rennen heute. Jede Woche kommt er hierher. Meist setzt er 15 Euro pro Lauf – manchmal etwas mehr. Zum ersten Mal kam er mit 13 Jahren zur Rennbahn, seitdem haben ihn die Pferde nicht losgelassen: „Hier habe ich nette Gesellschaft, bin an der frischen Luft und nah dran am Sport. In eine Wettbude gehe ich nicht.“
Einen großen Unterschied gibt es hier allerdings nicht zu den Büros, die man zu hunderten in Berlin findet. Viele Männer stehen unter der Tribüne, ein paar Stufen unterhalb der Rennbahn. Die Luft ist voller Zigarettenqualm, das Rennen – nur 100 Meter entfernt – können sie nur über Bildschirme verfolgen. Nah dran ist man nur an der Wettkasse. 6000 Mark war das höchste, was der Profiwetter aus dem öffentlichen Dienst dort je abgeholt hat.
Reiter Jos Verbeeck, in Fachkreisen „der Hexer“ genannt, holt sich bei den meisten Rennen mehrere zehntausend Euro ab. Meistens fährt er in Frankreich – da sind Trabrennen das, was in Deutschland die Fußball-Bundesliga ist. In Paris kann er bei einem Rennen schon mal 400 000 Euro gewinnen. Dagegen sind die 2500 Euro Siegprämie, die er gerade beim fünften Rennen über 1900 Meter in Mariendorf gewonnen hat, Peanuts.
„Die Leute in Deutschland kennen kaum die Pferde, auf die sie wetten“ Jos Verbeeck, Trabrennfahrer
Wo wenige Zuschauer sind, gibt es eben auch wenig Geld. In den siebziger und achtziger Jahren kamen noch tausende Besucher, heute sind es höchstens 1000, zwei Tribünen stehen komplett leer. „Wir wollen den Sport in Deutschland promoten“, sagt Verbeeck. Das Geschäft soll wieder angekurbelt werden. „Die Leute in Deutschland kennen kaum die Pferde, auf die sie wetten“, sagt er.
Mittlerweile läuft das sechste Rennen, die Dämmerung hat eingesetzt, das Flutlicht hüllt die Bahn in angenehmes Licht. Eine Etage über der Tribüne weicht der Turnhallencharme einem noblen Restaurant. Hier sitzen Männer mit Krawatte, ein paar Frauen tragen Abendkleider. Es gibt ein Büfett, Gänsekeulen und Schweinefilets. Auch wenn die festlich gedecktenTische direkt an der Fensterfront zur Bahn stehen – die meisten schauen auch hier auf kleine Fernseher.