Reisestopp am Nil – Gefahr für den Wirtschaftszweig Tourismus

Kaum jemand will im Moment in Ägypten Urlaub machen. Inzwischen hat das Auswärtige Amt sogar ausdrücklich vor Reisen nach Kairo, Alexandria und Suez gewarnt. Droht der Tourismus als Wirtschaftszweig wegzubrechen?

Die US-Regierung lässt ihre Bürger ausfliegen, China, Russland, Australien, Belgien, Frankreich, Finnland, Polen und Schweden warnen ihre Landsleute vor Reisen nach Ägypten und organisierten Rückflüge. Auch das Auswärtige Amt in Berlin gab am Donnerstagabend erstmals Reisewarnungen für die Städte heraus. Gewarnt wird nun vor Reisen nach Kairo, Alexandria und Suez. „Von Reisen in die übrigen Landesteile einschließlich der Urlaubsgebiete am Roten Meer wird weiterhin dringend abgeraten“, hieß es. Deutschen Staatsangehörigen wird nachdrücklich geraten, die Ausgangssperre strikt zu beachten und möglichst auch außerhalb der Sperrzeiten, insbesondere am Freitag, sichere Unterkünfte so wenig wie möglich zu verlassen.

Reiseveranstalter wie Tui, Thomas Cook oder Rewe (ITS, Jahn Reisen, Tjaereborg) hatten schon zuvor Buchungen nach Ägypten abgesagt. Sie kündigten alle Verträge mit Abreisedaten bis Mitte Februar. Die Reisen können kostenlos umgebucht werden. Dafür stehen bis Mitte April zusätzliche Plätze in Flugzeugen auf anderen Urlaubsrouten bereit. Allein Tui organisierte 40.000 Plätze in Richtung der Kanaren und 10.000 Plätze in die Türkei.

Welche Bedeutung hat der Tourismus für Ägypten?

Das Land hat viel zu bieten: Auf der einen Seite Kulturdenkmäler wie die Pyramiden von Giseh oder den Karnak-Tempel in Luxor. Auf der anderen Seite Badeparadiese mit Korallenriffen wie in Hurghada oder Scharm el Scheich. Zwölf Monate im Jahr scheint die Sonne, zwölf Monate bieten die Hotels ihre Zimmer an. Im Jahr 2009 kamen 12,5 Millionen Urlauber aus der ganzen Welt. Insgesamt bescherte der Tourismus dem Land einen Umsatz von 10,8 Milliarden US-Dollar. In den ersten neun Monaten 2009 lag der Umsatz schon bei neun Milliarden Dollar. Zwar sind Überweisungen von Ägyptern aus dem Ausland, Gebühren für die Durchfahrt des Suezkanals sowie Erdöl- und Erdgasexporte nominell gesehen weitaus wichtiger – Tourismus macht nur zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Aber die Branche ist ein großer Arbeitgeber: Jeder achte Ägypter arbeitet für die Urlaubsbranche. „Die Leute, die am Roten Meer wohnen, leben nur vom Tourismus. Es gibt dort keine Alternative“, sagt Karl Born, Professor für Tourismusforschung an der Hochschule Harz in Wernigerode.

Wie lange wird der Reiseboykott in das Land dauern?

„Zum Erliegen wird der Tourismus nicht kommen“, sagt Born. Zwar würden einige Urlauber umbuchen, aber nach ein paar Monaten werde sich die Lage vermutlich wieder normalisieren. „In kaum einem Land, wo es einen politischen Umbruch gab, hat es in der Vergangenheit einen Reiseboykott gegeben“, sagt Born. Die Urlauber würden ihr Reiseziel meist nicht nach politischen Stimmungen aussuchen. „Die Situation ist nicht so schlimm wie gedacht“, sagt auch Samih Sawiris, ägyptischer Milliardär und Besitzer von 32 Hotels im Land. „Viel schlimmer wären Anschläge auf Touristen, aber selbst das haben wir überstanden.“ Auch nach den Attentaten in Luxor 1997 oder auf der Sinai-Halbinsel 2004 und 2005 habe sich Ägypten immer wieder gefangen. „Katastrophal könnte es erst werden, wenn das Geschäft drei oder vier Monate aussetzt.“

Kann das Chaos aus den Großstädten auch auf die Urlaubsregionen übergreifen?

Das Basisgehalt eines Kellners oder einer Putzfrau beträgt gerade einmal 80 bis 90 Euro – pro Monat. Nur mit Trinkgeldern und einer Servicegebühr kommen Hotelangestellte auf bis zu 200 Euro – ohne Urlauber aber kein Zuverdienst. „Nirgends am Roten Meer findet man Menschen, die mit dem Chaos in Kairo oder Alexandria sympathisieren“, sagt Hotel-Besitzer Sawiris. Die Arbeiter wüssten genau, dass sie auf Stabilität angewiesen sind.

Sind derzeit noch Urlauber vor Ort?

Ja, aber keiner weiß, wie viele genau. Wer bereits am Roten Meer badet, kann seinen Urlaub fortsetzen. Laut mehreren Reiseveranstaltern ist die Versorgung der Touristen gewährleistet. „Wir hatten eine ähnliche Situation 2010 in Thailand“, sagt Born. „Es gab viele Proteste in Bangkok, aber in den Urlaubsgebieten hat man nichts mitbekommen.“ Sollte es in den nächsten Tagen doch noch eine deutsche Reisewarnung geben, würden alle Reisen ausfallen – und die bisherigen Urlauber müssten, wie vor ein paar Wochen in Tunesien, zurückgeholt werden.

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