Sie führen ein Leben im Campingwagen zwischen Autobahn und Festplatz: Für viele Schausteller beginnt mit dem Frühlingsfest die Saison
„Wir starten durch, auf geht’s, ab geht’s, volle Kraft voraus!“ Christopher Nitsche, 30, sitzt vor einem Schaltpult mit 16 bunten Knöpfen. Er drückt auf „Echo“, an seinem Mund das Mikrofon: „Die nächste Fahrt geht rückwärts-wärts-wärts.“ Durch das große Fenster sieht Nitsche, wie sein „Break-Dancer“ die Fahrtrichtung ändert. Das Karussell dreht sich links herum, die pinken und türkisen Sitzgondeln in die andere Richtung, immer schneller. Blitzlicht aus den Scheinwerfern, Disco-Musik aus den Boxen. „Jetzt geht’s los, Action-Action-Action!“ 30 Jugendliche fangen an zu kreischen.
In der Steuerkanzel gibt Nitsche den Ton an: „Mein Beruf nennt sich Rekommandeur, und ich sitze hier in der Rekommandage“, sagt er und drückt den Stroboskop-Knopf. „Ich muss die Leute anlocken, sie beim Geschäft halten. Ständig bremsen, Gas geben, vorwärts, rückwärts“, sagt Nitsche und dreht am Geschwindigkeitsregler.
Schon mit 16 hat er nebenbei auf Volksfesten gearbeitet. Nach der Lehre zum Kfz-Mechaniker wollte er nur noch eins: zurück in die Rekommandage. Heute fährt er neun Monate im Jahr kreuz und quer durch Deutschland. Ein Leben im Wohnwagen. „Der Job ist wie ein Virus. Wer einmal anfängt, kann nicht mehr aufhören“, sagt Nitsche und drückt den Hall-Knopf. „Nächste Runde, hoppa-hoppa-hoppa!“
Direkt hinter dem Break-Dancer steigt Michael Schifferl aus seinem Wohnwagen. Er stapft die hundert Meter zu seinem Verkaufsstand, zur „Herzlmalerei“. Die Rohlinge für die Lebkuchen werden gerade angeliefert. In einem kleinen Raum hinter dem Verkaufsstand mischt Schifferl Lebensmittelfarbe mit Zuckerguss. Den ganzen Tag produziert er frische Herzen. Am besten läuft das Geschäft mit der Liebe: „Ich liebe dich“, „Hab dich lieb“ und „Willst du mich heiraten“ sind die Verkaufsschlager.
Zwei Stände weiter spukt Frankenstein auf dem Dach der Geisterbahn von Familie Eckl – eines der ältesten Fahrgeschäfte auf dem Frühlingsfest. Die Figur treibt seit 80 Jahren ihr Unwesen: „Ich kriiiiege dich“, scheppert es aus dem Lautsprecher. Neun Monate im Jahr ist die Geisterbahn unterwegs, bundesweit. Immer mit dabei: der lebendige Geist. Albu Petrisor trägt eine weiße Totenkopfmaske, dazu einen schwarzen Skelettanzug. „Ich mache den kleinen Kindern Angst“, sagt der Rumäne und grinst. „Richtig Angst!“
Den ganzen Tag steht er hinter Gittern. Sein Arbeitsplatz ist ein kleiner dunkler Verschlag am Ende der Geisterbahn. Auf einem Plastikstuhl wartet der 30-Jährige auf Fahrgäste. Ein Wagen kommt vorbei. Petrisor schnappt sich seine Gummihand, scheppert mit dem Gitter und lehnt sich ruckartig aus seinem Käfig: „Baaaaaaah“, schreit er. Die Kinder kreischen.
Zurück zum Wohnwagen der Familie Schifferl: Ehefrau Erika (51) bereitet gerade das Mittagessen zu, es gibt Geschnetzeltes. Nebenan im Wohnzimmer sitzt ihr Mann Michael. Es sieht aus wie in einer echten Wohnung: weiße Ledercouch, Glastisch, Flachbildfernseher. Eine weiße Tapete mit Bordüre und hübsche Bilder schmücken die Wände. Der Wohnwagen der Schifferls versprüht kein bisschen Camping-Romantik. Kein Wunder: Fast das ganze Jahr sind die beiden auf Volksfesten in München unterwegs. Stadtgründungsfest, Weihnachtsmarkt, Wiesn. Ihre Wohnung in der Innenstadt sehen sie selten. „Da will man schon den gleichen Standard wie daheim haben“, sagt Erika Schifferl.
Viel Freizeit bleibt nicht – nur ab und an treffen sich die Schifferls mit Kollegen: im Festzelt zum Schausteller-Stammtisch. Die meisten kennt Michael Schifferl von klein auf: „Schausteller wird man nicht, als Schausteller wird man geboren.“ Genau wie seine Mutter. Sie ist 80 Jahre alt und hat ihren Schießstand direkt gegenüber. Die Arbeit hält sie fit: „Wenn sie ihr Geschäft nicht mehr hätte, würde sie sterben“, glaubt ihr Sohn. Auch Schifferls Tochter Michaela (24) packte früh mit an. Schon während ihrer Schulzeit half sie ihren Eltern auf den Volksfesten. Vormittags in der Schule, nachmittags auf der Wiesn. Heute betreibt sie gemeinsam mit ihrem Freund eine Süßwarenbude gegenüber der Herzlmalerei und neben Omas Schießbude.
Georg Martl, 62, bringt gerade die Süßwarenbude auf Vordermann. Er ist Michaelas Schwiegervater in spe. Martl legt Schokofrüchte in die Auslage, hängt Lebkuchenherzen auf, wischt den Tresen ab. „Das Geschäft ist schon sehr hart geworden“, sagt er. Das Jahr habe zwar 365 Tage, Umsatz bringen aber nur die Spieltage. Aufbau, Abbau, umziehen – alles Zeit, die nur Geld kostet. Je mehr Freizeit die Schausteller sich gönnen, um so teurer wird das Leben. „An manchen Tagen liegen abends nur hundert Euro in der Kasse“, sagt Martl. „Einmal den Lkw volltanken kostet 900 Euro. Da fängt man schon an zu schlucken.“ Trotzdem hat Georg Martl großen Spaß an seinem Job: „Es ist mein Traumberuf, nach wie vor.“
Schräg gegenüber sitzt Bernhard Kollmann, 48, im Kassenhäuschen seines Auto-Scooters. Auch er ist seit 30 Jahren im Geschäft. Direkt nach der Schule machte er den Gewerbeschein, übernahm mit 18 die erste eigene Schießbude. „Man bekommt das von klein auf mit, das steckt im Blut“, sagt Kollmann. „Sobald die Sonne scheint, juckt’s in den Fingern.“ Auf dem Frühlingsfest darf er mit seiner Frau nur ein Geschäft betreiben. Zu Hause lagern noch Crêpes-Stand, Schießwagen, Glühwein-Stand, Greif-Automat und Imbissbude.
Vor dem Fenster steht die erste Kundschaft. „Vier Chips, bitte!“, sagt eine Mutter mit Kind im Arm. Hinter ihr stehen drei Jugendliche mit Sonnenbrillen und hochgestelltem Polokragen. „So, die Fahrt beginnt, die Kinder gut festhalten, aus der Fahrbahn gehen“, spricht Kollmann in sein Mikrophon.
Drei Angestellte beschäftigt er während der Saison, von Ostern bis Allerheiligen. Danach kommen die Weihnachtsmärkte, und im Januar vier Wochen Urlaub. Auch Tochter Julia (20) hat schon den eigenen Schießwagen. „Gerade lernt sie für das Abitur, da bleibt nicht so viel Zeit.“ Ihr Freund ist auch Schausteller und hilft aus während der Abi-Zeit. „Bei den Schaustellern hält die Familie eben zusammen“, sagt Kollmann.
In gut zwei Wochen ist das Frühlingsfest wieder vorbei. Für die Schifferls geht es danach direkt weiter nach Weilheim. Eine Woche Zeit bleibt ihnen zum Abbauen, Umziehen und Aufbauen. Auch Rekommandeur Christopher Nitsche wird weiterziehen, für ihn geht es nach Norddeutschland. Bis dahin muss er allerdings noch einige Knöpfe drücken. Nitsche dreht noch einmal die Geschwindigkeit hoch und greift sich sein Mikrophon: „Letzte Runde, Ende, aus. Micky Maus!“
Co-Autor: Oliver Sallet