Getroffene Nordkoreanerinnen – Blitz aus heiterem Himmel

Nordkoreas Trainer begründet die Niederlage gegen die USA mit einem Blitzschlag. Doch was wie eine kuriose Ausrede klingt, ist gar nicht so unwahrscheinlich.

Es klang wie eine billige Entschuldigung für die Niederlage gegen die USA (0:2). Ein Hirngespinst des nordkoreanischen Trainers, das viel zu unglaublich klang, um wahr zu sein: Seine Spielerinnen wurden am 8. Juni bei einem Testspiel in Pjöngjang angeblich vom Blitz getroffen. Deswegen konnten sie beim ersten Gruppenspiel am Dienstag nicht ihre volle Leistung abrufen. „Einige meiner Spielerinnen fühlen sich noch nicht ganz gesund“, sagte Kim Kwang Min überraschend nach dem Spiel.

Eine verrückte Story, bei der nur noch fehlte, dass sich der kommunistische Staatsführer Kim Jong-il zu Wort meldete, um hinter dem Blitzschlag eine sportliche Verschwörung der westlichen Weltmacht zu vermuten.

Mit der Wahrheit nimmt der es ohnehin nicht so genau, wie die Geschichte um seine Geburt beweist. Der „geliebte Führer“ will auf Nordkoreas heiligem Berg Paektu geboren worden sein, tatsächlich war es wohl ein Krankenhaus in der Sowjetunion. Auch fühlen sich Nordkoreas Fußballer dem Chollima-Mythos verbunden. Dies ist ein geflügeltes Pferd, das lange Distanzen rasend schnell überwinden kann. Bei Nordkoreas Fußballern bei der WM 1966 soll Chollima übernatürliche Kräfte freigesetzt haben, seitdem tragen die Fußballteams des Landes den Spitznamen Chollima. Doch so skurril vor diesem Hintergrund auch die aktuelle Blitz-Geschichte anmutet – so unglaublich ist sie nicht.

„Der Vorfall klingt plausibel“, sagt Professor Emil Reisinger von der Universitätsklinik Rostock, der sich mit Blitzunfällen beschäftigt. „Gerade beim Fußball kommt das immer wieder vor.“ Entweder schlage der Blitz in die Flutlichtmasten aus Metall ein oder in den Boden. „Wenn der Rasen nass ist, überträgt sich der Blitz auf die Spieler auf dem Feld“, sagt Reisinger.

Alleine in Deutschland werden pro Jahr etwa 30 Menschen vom Blitz getroffen

Bis zu zwei Millionen Blitze zucken alleine in Deutschland jährlich durch den Himmel. Rund zehn Prozent kommen davon auf die Erde – mit einer elektrischen Spannung von bis zu 100 000 Volt. „30 Menschen werden pro Jahr getroffen“, sagt Mediziner Reisinger, „Sieben bis acht Leute davon sterben.“ Die anderen tragen teilweise langfristige Schäden und starke Verbrennungen davon, auch Trommelfellverletzungen und Schlafstörungen sind häufig. Ist das Gehirn betroffen, kann es zu epileptischen Anfällen und teilweise zu Lähmungen kommen.

Medizinprofessor Emil Reisinger von der Universität Rostock findet die Geschichte plausibel

"Die Geschichte klingt plausibel" (Emil Reisinger, Medizinprof. der Universität Rostock) Foto: Universität Rostock

Nordkoreas Coach Kim berichtete, dass fünf seiner Spielerinnen nach dem Blitzschlag ins Krankenhaus mussten, darunter die Torhüterin und die ganze Abwehr. Die Ärzte hätten den Frauen abgeraten, bei der WM aufzulaufen. „Normale Menschen hätten heute gar nicht spielen können“, sagte Kim. Haben die Fußballerinnen Chollimas übernatürliche Kräfte erhalten? Oder wie konnten sie nur knapp drei Wochen nach dem vermeintlichen Unglück schon wieder auf dem Platz stehen? „Nicht jeder bekommt langfristige Schäden. Menschen, die nur leicht verletzt werden, haben eventuell eine kurze Amnesie und in den ersten Tagen Herz-Rhythmus-Störungen“, sagt Reisinger. „Manche kommen auch innerhalb weniger Tage schon wieder zu vollen Kräften.“

Immer wieder gab es in der Vergangenheit Meldungen über Blitzeinschläge auf Fußballplätzen. Rechtsmediziner Fred Zack, ein Kollege Reisingers aus Rostock, fand heraus, dass es zwischen 1995 und 2009 allein in Deutschland mindestens zehn Unfälle gegeben hat. 205 Sportler und Zuschauer wurden dabei verletzt, einer starb. Erst im Januar kam der Masseur des argentinischen Erstligisten Racing Club de Avellaneda ums Leben. Er wollte während eines Unwetters einen Ball holen und kam mit der Bewässerungsanlage in Kontakt – in die der Blitz eingeschlagen war.

Was auch immer am 8. Juni in der nordkoreanischen Hauptstadt passiert ist – am Samstag muss Kims Team gegen den nächsten WM-Gegner Schweden ran. Vielleicht haben sich die Frauen bis dahin ja erholt. Der Experte gibt allerdings wenig Grund zur Hoffnung: „Einige Blitzopfer fühlen sich noch wochenlang abgeschlagen und schlaff, sind ausgepowert“, sagt Reisinger. Bis ein Blitzopfer wieder vollständig leistungsfähig ist, könne es sogar bis zu einem Jahr dauern.

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