Verfluchte Kugel

Die Länderchefs diskutieren, Spielautomaten unter staatliche Kontrolle zu stellen. Doch was heißt das für die Betroffenen? Besuch bei einem Spieler nach dem Entzug.

Seine schwarzen Haare hat er mit Gel nach hinten gekämmt. Grauer Wollpulli, helle Jeans. Die Lackschuhe glänzen, am Handgelenk blitzt die silberne Armbanduhr. Zvonko Zovko (46) sitzt in einem Schnellrestaurant am Münchner Harras, keines der feinen Stadtviertel. Zovko bestellt Cappuccino. Er entdeckt das Gewinnspiel auf dem Pappbecher und zieht sofort die Marke ab. Leider kein Glück gehabt. Aber er hat es versucht. Er kann nicht anders, auch heute nicht, ein Jahr und einen Monat danach. Er sagt: „Du entwickelst Liebe zum Automaten, zur Kugel beim Roulette. Diese ganze Atmosphäre, dieses Schickimicki – mich hat diese Glitzerwelt fasziniert.“

Die Faszination packte Zovko schon als jungen Mann. Vor 22 Jahren begann er zu spielen. Mehr als eine Million Euro hat er seither verzockt, schätzt er. Im Casino. Bei Pferdewetten. Am Automaten in der Spielhalle.

Um die 300.000 Spieler gibt es in Deutschland, die Experten als „pathologisch“ bezeichnen. Menschen, die süchtig sind nach dem schnellen Glück. Noch einmal so viele gelten als gefährdet, abhängig zu werden.

Oft führt der Weg ins Unglück über die Daddelautomaten. Gut 200.000 solcher Geräte hängen in deutschen Spielhallen, Kneipen und Gaststätten. Tendenz: steigend. Ihr Suchtpotential ist riesig, sagen Studien. Und die Versuchung lockt fast überall, ständig eröffnen neue Spielhöllen. Und die Bürgermeister können nichts dagegen tun. Die Geräte gelten als „Unterhaltungsautomaten mit Gewinnmöglichkeit“ – und nicht als Glücksspiel. Damit unterliegen die Spielhallen nur der normalen Gewerbeordnung und lassen sich so einfach eröffnen wie ein Gemüseladen.

Doch bald könnte Schluss sein mit dem Daddelboom: Die Ministerpräsidenten der Länder beraten gerade über einen neuen Staatsvertrag, der das Glücksspiel regelt. Erstmals könnte dieser die Spielautomaten einschließen und sie unter staatliche Kontrolle stellen.

Die Länderchefs müssen handeln: Im September hat der Europäische Gerichtshof Deutschlands Staatsmonopol für Lotto, Spielbanken, Internet- und Sportwetten infrage gestellt. Der Sinn des Monopols – die Spielsucht einzudämmen – werde nicht ausreichend erfüllt. Im Gegenteil: Der Staat mache zu viel Werbung für seine Lotterien. Zwei Alternativen sind im Gespräch. Entweder liberalisiert der Gesetzgeber den Markt komplett – damit könnten dann auch ausländische Anbieter in Deutschland Lotterien oder Sportwetten anbieten –, oder das Monopol wird auf die Spielautomaten ausgeweitet. Am Mittwoch haben sie beschlossen, das Monopol beizubehalten, nun muss sich der Bund äußern. Im Frühjahr soll endgültig über das Schicksal der Automaten entschieden werden.

Auch Zvonko Zovko hat lange Zeit an Automaten gespielt. Anfangs nur unregelmäßig, dann viermal die Woche, später täglich. Noch heute ziehen ihn die Spielhöllen an: „Ich kann nicht wie ein normaler Mensch durch München gehen. Rechts und links sehe ich Spielhallen. Ich bekomme Schweißausbrüche, einen trockenen Hals, muss was trinken.“ Doch es waren nicht nur die Automaten. Das meiste Geld verspielte Zovko im Casino. Er zockte jahrelang in ganz Europa: „Manchmal habe ich ein Wochenende durchgespielt. Es gab Zeiten, da wusste ich nicht mehr, welcher Tag heute ist. Ich war in meiner eigenen Welt, in meiner betrügerischen falschen Welt.“

In der richtigen Welt verlor Zovko dabei die Orientierung: Seine Frau ließ sich scheiden, seine Familie distanzierte sich, Freunde wandten sich ab, seine beiden Kinder sieht er heute nur noch selten. Beinahe hätte ihn das Glücksspiel sein Leben gekostet: „Ich dachte sogar an Selbstmord“, sagt Zovko ruhig. Dann wird er laut: „Man kann es nicht kontrollieren! Ich kann nur sagen: Finger weg vom Spielen!“

Eine ähnliche Warnung steht seit fast 15 Jahren auch auf jedem deutschen Spielautomaten: „Übermäßiges Spiel ist keine Lösung bei persönlichen Problemen!“ Daneben die Hotline der Suchtberatung. Damit waren die privaten Anbieter schneller als die staatlichen Lotterien und Casinos: „Die haben erst 2008 mit Suchtprävention angefangen“, sagt Paul Gauselmann (76), Verbandschef der Deutschen Automatenindustrie und Spielhallenkönig der Republik, seine Firma betreibt die Merkur-Spielotheken.

Sollten die Länder das Monopol ausweiten, würden sie Gauselmann und seiner Branche (Jahresumsatz 2009: 3,5 Milliarden Euro) extrem schaden: „Die Länder machen die Gesetze für sich, kassieren die Einnahmen, kontrollieren sich auch noch selbst und schützen sich so gegen alle gewerblichen Konkurrenten“, sagt Gauselmann.

Dabei habe die Automatenindustrie gerade beschlossen, noch mehr gegen die Spielsucht zu tun: Sie will eine „Spielerkarte“ einführen. Eine Mischung aus Personalausweis und Kreditkarte: Der Spieler bekommt sie direkt in der Spielothek und hat ein festgelegtes Maximalguthaben. Der Automat reagiert nur bei eingesteckter Karte. So soll das gleichzeitige Spielen an mehreren Automaten – bisher gängige Praxis – verhindert werden.

Suchtforscher halten nicht viel von der Idee. „Sie öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Wenn die Karte etabliert wird, dann geht der Spieler einfach von einer Halle zur nächsten“, sagt Gerhard Meyer (58) von der Fachstelle Glücksspielsucht an der Uni Bremen. „Oder es wird ihm direkt unter dem Tresen eine neue Karte verkauft, wenn das Guthaben aufgebraucht ist.“ Ohnehin haben die Spielhallen einen schlechten Ruf: Nach einer neuen Studie des Bundeswirtschaftsministeriums halten 80 Prozent der Spielhallen nicht die Vorschriften ein. Oft mangele es beispielsweise an Informationen zum Spielerschutz.

Dass Spielsüchtige alles versuchen, um ihre Sucht zu befriedigen, hat Zvonko Zovko selbst erfahren. „Wenn ich in diese negative Spirale reingerate, kenne ich mich selbst nicht mehr. Ich will dann nur noch Geld besorgen und spielen. Schnelle Autos, Sex, Party und immer weiterspielen …“ Anfang 2010 ging Zovko in die Privatinsolvenz, musste alle seine Kreditkarten abgeben. Heute ist er bei einer Firma für Handelstechnik angestellt. Zuvor verdiente er sein Geld zum Spielen als Autohändler, Exporteur und Gastronom. Er verschuldete sich bei Banken, Freunden, lieh sich überall Geld – auch aus zwielichtigen Kreisen.

Am Rande der Legalität bewegt sich möglicherweise auch der noch bis Mitte 2011 gültige Glücksspielstaatsvertrag: Vom 1.Januar an können Bürger in Hessen um Hunderte Millionen Euro spielen. Die Landesregierung hat die Lotterie „Eurojackpot“ zugelassen. „Damit ist der Staatsvertrag de facto europarechtswidrig“, sagt Michael Adams (63) vom Institut für das Recht der Wirtschaft an der Universität Hamburg. Beim „Eurojackpot“ seien die Gewinne so hoch, dass sie nicht mehr mit der Begründung des Monopols – der Eindämmung der Glücksspielsucht – vereinbar seien.

Kein Europa-Jackpot, kein Roulette, keine Automaten: Seit einem Jahr und einem Monat hat Zovko nicht mehr gespielt. Er hat gerade seine Langzeittherapie abgeschlossen. Nun muss er der Versuchung widerstehen, ohne zweimal in der Woche seinen Psychologen zu sehen. Gerade deshalb muss Zovko immer vorsichtig sein. Er lebt von Tag zu Tag. „Ich kann mir immer nur für 24 Stunden vornehmen, nicht zu spielen.“ Packt ihn die Spiellust, hat er einen Notfallplan: Er ruft dann Freunde an, er lenkt sich ab. Seine neue Freundin hilft ihm dabei. Zovko ist wieder bei Bewusstsein, nach 22 Jahren im Rausch. „Ich habe jetzt wieder einen Bezug zur Realität“, sagt er und lächelt. „Sich auf eine Tasse Cappuccino freuen – das ist auch ein Leben.“

Co-Autor: Simon Book

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